Viernheim. Die 15 Jahre alte Sophia und die zwölfjährige Luisa haben etwas, über das in der Tat nur wenige Jugendliche verfügen: eine ganze Mappe voll mit Zeitungsartikeln, die über ihre Auftritte in der Öffentlichkeit berichten.
Zu den unterschiedlichsten Anlässen machen sie Musik – sei es in der Kulturscheune, im Bürgerhaus, in der katholischen Kirche oder im Albertus-Magnus-Gymnasium. Jedes Jahr, mit Ausnahme der Corona-Pause, haben sie sich erfolgreich am Wettbewerb „Jugend musiziert“ beteiligt. Und so versendet ihr Vater Rolf Kramer manchmal über das Internet Musikaufnahmen seiner Töchter an Freunde und Bekannte. Er lächelt: „Luisa und Sophia finden das ein bisschen ,peinlich’ – aber ich höre die privaten Aufnahmen selbst gerne.“
Die Mutter der Mädchen, Ping-Yan Kramer, ist in China auf die Welt gekommen und an der Grenze zu Russland, in der Nähe von Sibirien, aufgewachsen. Sie sagt: „In einem kleinen Dorf.“ Das „kleine“ Dorf zählt rund 100 000 Einwohner, und es gab kein einziges Klavier im gesamten Ort. Erst mit 18 Jahren sah Ping-Yan Kramer das erste Mal in ihrem Leben ein Klavier, als sie nach Peking kam. Sie war sofort vom Klang des Instruments verzaubert und nahm Unterricht. Sie hatte einen großen Traum: „Wenn ich Kinder habe, sollen sie Klavier spielen.“
Ihre Vision wurde wahr. Durch die Liebe zu dem Ingenieur Rolf Kramer kam sie in die Region und ist nun mit ihrer Familie in Viernheim zuhause. Ping-Yan Kramers älteste Tochter, Sophia, durfte dann schon mit vier Jahren das erste Mal Klavier spielen – nicht erst als Erwachsene. Sie ist ein Naturtalent, hat das absolute Gehör und kann die Höhe der 88 Töne des Instruments ohne Hilfsmittel bestimmen. Ihre Mutter sagt: „Das Spiel auf dem Klavier fiel ihr leicht.“
Aber: Ohne Fleiß kein Preis! Sophia übte mehrere Jahre lang wirklich jeden Tag mindestens 60 Minuten. Ihr Vater Rolf Kramer bestätigt: „Auch an den Wochenenden. Im Urlaub hatten wir ein Keyboard dabei.“
Als Sophia neun Jahre alt war, erlernte sie zusätzlich das Cello: „Ich habe mich bei einem Schnupperkurs der Musikschule in das Instrument verliebt.“
Die drei Jahre jüngere Luisa begann ihre musikalische Karriere mit fünf Jahren und mit der Kinder-Geige. Als Luisa in der Musikschule die Querflöte kennenlernte, mochte sie sofort den Klang des Instruments. Zuerst erprobte sie auf leeren Flaschen, wie man einen Ton erzeugt. Kein Problem für sie. Als drittes Instrument spielt sie Klavier. Dieses bringt einige Vorteile mit sich, sind sich die Schwestern einig: „Das Klavier kann keine ,schiefen’ Töne spielen. Es steht fest an einem Platz, man kann beim Spielen sitzen statt stehen.“ Sophia und Luisa spielen anspruchsvolle Werke quer durch die Jahrhunderte. Sophia erzählt: „Am Anfang mochte ich nur sehr schnelle Stücke, bei denen sich die Finger ,verknoten’. Je schneller, desto besser.“ Heute schätzt sie auch langsame, melodische Werke. Luisa bevorzugt im Moment schnelle Tanzstücke, die „eher flott“ sind.
Von Anfang an dabei
Die Jugendlichen waren von Anfang an Schülerinnen der Städtischen Musikschule Viernheim. Dort sind sie auch Teil des Orchesters. Sophia spielt Cello: „Wenn ich ein Solo spiele, ist das toll.“ Luisa übernimmt meist den Part der ersten Geige: „Dann spiele ich die Melodie.“
Beide nehmen regelmäßig am Wettbewerb „Jugend musiziert“ mit verschiedenen Instrumenten teil. Nun sind sie in den Vorbereitungen für den neuen Wettbewerb. Sophia sagt: „Das macht Spaß. Dann hat man ein Ziel beim Üben.“
Kaum zu glauben, aber die Jugendlichen sind neben dem Besuch des Albert-Magnus-Gymnasiums und der Musikschule weiter aktiv. In der binationalen Familie hat Mutter Pin Yang-Kramer vor einem Jahr eine chinesische Schule gegründet, die heute mehr als 120 Schüler zählt. Bei ihr lernen auch die eigenen Töchter Chinesisch mit dem gesprochenen Wort, der geschriebenen Sprache und mit Gesang.
Sophia spielt drei Mal in der Woche Tischtennis, und Luisa möchte wieder Ballett tanzen: „Der Tanz sieht so schön und elegant aus. Ich mag den Tanz auf der Spitze.“ Außerdem lesen sie Romanen und Sachbücher. Ihre Mutter lacht: „Wir gehen oft mit zwei Koffern in die Bibliothek, um Bücher auszuleihen.“ Wie ist das alles zu schaffen? Sophia lacht nun auch: „Das weiß ich manchmal selbst nicht.“
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