Viernheim. Ein grell leuchtender Türrahmen schwebt in der Luft. Der Rest der Bühne ist schwarz wie die Nacht. Eine bleiche Gestalt nähert sich einem Gegenstand am Bühnenrand und lässt daraus wie von Geisterhand - ohne das Instrument zu berühren - eine gruselig surrende Melodie erklingen. Am Mittwochabend schickt Regisseur Patrick Mertens vier Ehemalige der Theater-AG in die Hölle. Sie feiern in der Albertus-Magnus-Schule die Premiere des philosophischen Stücks "Geschlossene Gesellschaft".
Die Hölle entpuppt sich als spärlich eingerichteter Raum "zwischen Ikea und Bauhaus". Mit Licht sehen die Bühne und der bleiche Höllendiener "Concierge" (Michael Eberle) gar nicht mehr so bedrohlich aus. Von Streckbänken, Pfählen und sonstigen Folterinstrumenten keine Spur. Man hat eher den Eindruck, in einem Hotel gelandet zu sein.
Fragen über Folterinstrumente
Der erste Tote, der in der Hölle ankommt, ist von dieser Tatsache völlig überrascht und verunsichert. Garcin (Lukas Ahrens) läuft hektisch im Raum auf und ab und reagiert gereizt darauf, dass der Concierge seine Standardfragen über Folterinstrumente und Ähnliches mit belustigten Antworten kommentiert. Bald kommt Garcin darauf, was zur Qual werden könnte: "Es gibt keine Betten, keinen Schlaf. Man muss hier also mit offenen Augen leben." Sarkastisch fragt der Concierge den kürzlich Verstorbenen: "Leben?"
Die zweite Tote ist völlig anders. Inés (Julia Zimmermann) ist absolut abgeklärt und hat keine Fragen an den enttäuschten Concierge. Ihren Leidensgenossen Garcin hält sie für den Folterknecht, der das hysterisch lachend dementiert. Bald wird sich zeigen, wie recht Inés damit hat. Die dritte Tote ist Estelle (Mareike Pich), eine aufgedrehte, selbstverliebte Zicke. Den Concierge missbraucht sie ungefragt als Butler, der ihr die Handtasche hinterhertragen muss.
Im Gegensatz zu den anderen macht sie einen fröhlichen Eindruck - selbst, als sie ihre eigene Beerdigung auf der Erde mitverfolgt. "Meine Schwester versucht gerade krankhaft zu weinen", sagt Estelle und lacht über die paradoxe Situation. Kurz darauf zickt sie Garcin an, was ihm denn einfiele, sich gedankenverloren auf "ihr" Sofa zu setzen.
Die Unstimmigkeiten zwischen den Dreien werden immer größer und bald werden sie sich bewusst, dass jeder einzelne von ihnen als Folterknecht für die anderen dient: "Das ist Personaleinsparung", stellt Inés fest. "Wie bei Selbstbedienungsrestaurants. Die Kunden machen ihre Arbeit selbst." Die drei Toten sind auf Ewigkeit dazu verdammt, es miteinander auszuhalten. Garcin kommt die zündende Idee: Wenn alle drei für immer schweigen, könnten sie sich nicht auf die Nerven fallen.
Doch er hat die Rechnung ohne die beiden anderen gemacht: Die Frauen halten es nicht lange aus, ohne zu reden. So sehr sich Garcin auch die Ohren zuhält, er bekommt doch alles mit. Schließlich rastet er aus, wird handgreiflich und schreit: "Wir werden bis zum Ende gehen - nackt wie die Würmer. Ich will alles über Sie wissen!" Und dann beginnt die wahre Folter: Die Geständnisse dreier Menschen, die nicht umsonst in der Hölle gelandet sind.
Die Theater-AG hat es geschafft, das anspruchsvolle Stück von Jean-Paul Sartre gekonnt auf die Schulbühne zu bringen. Sartres berühmte philosophische Aussage "Die Hölle, das sind die anderen", also die Abhängigkeit vom Urteil anderer, kommt gut verständlich zum Tragen. Die Aufführung der Theater-AG überzeugt durch die gekonnte Inszenierung von Patrick Mertens und das authentische Schauspiel der vier Darsteller. Zudem sorgt die Maske beim Publikum für Begeisterung: Auf die Augenlider der Toten sind Pupillen gemalt, sodass sie den Eindruck erwecken, nie die Augen zu schließen und zum ewigen Wachsein verdammt zu sein.
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