Historie - Straßenbenennungen in Neubaugebieten würdigen herausragende Frauen / Zwei Kampagnen 1991 und 2013 erhöhen Anteil weiblicher Namensgeber

Wohltäterinnen ein Denkmal gesetzt

Von 
Florian Hartmüller
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Die Mathilde-Franziska-Anneke-Straße ist nach einer Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts benannt. © Bernhard Kreutzer

Viernheim. Astrid Lindgren dürfte fast allen Bürgern ein Begriff sein. Weniger bekannt ist dagegen wohl Mathilde Franziska Anneke. Dennoch haben die schwedische Kinderbuchautorin und die deutsche Frauenrechtlerin etwas gemeinsam: Nach beiden sind Viernheimer Straßen benannt. Lindgren schaffte es 1999 wegen ihres literarischen Werks zusammen mit männlichen Autoren wie Michael Ende, Mark Twain und Wilhelm Busch aufs Schild. Zwar wurde damals auch nach der Physikerin Lise Meitner eine Straße benannt. Die Männer waren jedoch, wie so häufig, in der Überzahl.

Anneke wurde 1991 Teil einer Kampagne, die darauf abzielte, dieses Missverhältnis zumindest geringfügig zu ändern. Dazu wurde eine Gruppe neuer Straßen ausschließlich nach Frauen benannt. Das berichtet Gisela Wittemann, die Leiterin des Stadtarchivs. Damals entstanden im Baugebiet Am Schmittsberg I neben der Mathilde-Franziska-Anneke-Straße auch die Luise-Aston-Straße sowie im Baugebiet Am Birkenwäldchen die Maria-Mandel-Straße.

Eine ähnliche Kampagne gab es noch einmal 2013. Damals wies Bürgermeister Matthias Baaß im Sozial- und Kulturausschuss laut Protokoll darauf hin, „dass bei den letzten Straßenbenennungen immer wieder Diskussionen aufkamen, dass mehrheitlich Straßen nach Männern benannt wurden. Daher wurden dieses Mal nur Frauennamen berücksichtigt.“ Es ging um das Baugebiet Am Schmittsberg II, wo heute Straßen nach Lina Kadel, Franziska Berg, Christine Steuerwald und Edeltraud Wacker benannt sind.

Doch wer waren die Damen? Mathilde Franziska Anneke (1817 bis 1884) und Luise Aston (1814 bis 1871) haben keinen direkten Bezug zu Viernheim. Sie passen jedoch unter anderem deshalb gut zu den Kampagnen, weil sie sich für Frauenrechte einsetzten. Nachzulesen ist darüber zum Beispiel in der „Deutschen Biographie“.

Die aus dem Ruhrgebiet stammende Anneke begleitete ihren Mann Fritz, einen preußischen Offizier, 1848 während Kämpfen im Zusammenhang mit der Badischen Revolution. Im selben Jahr gab sie unter anderem die nur kurz erscheinende „Frauenzeitung“ heraus. Das Ehepaar musste später in die USA fliehen, wo Anneke 1852 in Milwaukee die „Deutsche Frauenzeitung“ gründete.

Gedichte und Romane

Astons Engagement zielte in eine ähnliche Richtung. Die in Gröningen bei Halberstadt geborene Schriftstellerin veröffentlichte in den Jahren um 1848 Gedichte und Romane, in denen es um die Emanzipation von Frauen ging. Sie lebte unter anderem in Berlin, von wo sie allerdings auch wegen ihres für die damalige Zeit ungewöhnlich frivolen Lebensstils mehrmals ausgewiesen wurde.

Einen stärkeren Viernheim-Bezug haben dagegen die fünf anderen Namensgeberinnen, wie Unterlagen im Stadtarchiv zeigen. Die Kommunistin Maria Mandel (1905 bis 1965) engagierte sich während des Dritten Reichs im Widerstand gegen das NS-Regime und unterstützte unter anderem die Angehörigen politisch Verfolgter. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie Mitglied des Viernheimer Gemeinderates.

Um hilfsbedürftige Menschen kümmerte sich auch Lina Kadel (1899 bis 1924). Die Tochter eines Viernheimer Postsekretärs studierte in Heidelberg Medizin und promovierte sogar. Das war Frauen damals erst seit kurzem möglich. Kadel arbeitete in einem Krankenhaus in Mannheim und starb jung an einer Infektion. Weiter weg verschlug es Franziska Berg (1813 bis 1893). Sie war „königlich-sächsische Hofschauspielerin“ in Dresden, wo sie von 1831 bis 1889 auch teils als Sängerin auftrat. Berg erhielt ihre ersten Rollen jedoch in Mannheim und stammte aus einer Viernheimer Familie. Dieser hinterließ sie größere Beträge. Außerdem stiftete sie Geld an Viernheimer Vereine. Als großzügig erwies sich auch Christine Steuerwald (1816 bis 1881). Sie war Haushälterin eines katholischen Dekans und hinterließ dem Viernheimer Almosenfonds 1714 Gulden und der Pfarrei der Marienkirche 15 651 Gulden. Zusammen entspricht das heute mehr als 100 000 Euro.

Auch die letzte Namensgeberin passt in die Reihe der spendablen Wohltäterinnen. Edeltraud Wacker (1924 bis 2011) wurde im westpreußischen Mewischfelde geboren, musste jedoch auf der Flucht vor der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen. In der Folge lebte sie in Viernheim, unterstützte aber Familien ihres Herkunftsortes finanziell und mit Hilfspaketen.

Stadt wird Alleinerbin

Die Stadt Viernheim machte sie in ihrem Testament überraschend zur Alleinerbin. Auch Wackers Name könnte sich daher vielen Bürgern eingeprägt haben. Denn ein Teil des Vermächtnisses, das einen Wert von mehreren 100 000 Euro hatte, kam über Jahre gemeinnützigen Projekten zugute. Dazu gehören etwa die mobile Küche, der Fahrrad-Parcours im Familiensportpark West oder der Austausch der Starkenburg Philharmoniker mit Osteuropa.

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