Viernheim. Eigentlich sollten sie am Wochenende im Viernheimer Bürgerhaus an den Brettern sitzen und zum Saisonauftakt der Bundesliga Schach spielen. Drei ukrainische Großmeister des Schachclubs Viernheim kommen aber nicht nach Deutschland - sondern kämpfen in ihrem Heimatland für die Freiheit.

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„Es ist unfassbar, dass Spieler von uns gerade ihr Land verteidigen und um ihr Leben kämpfen müssen“, sagt Team-Kapitän und Zweiter Vorsitzender Stefan Martin. Im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt das Vorstandsmitglied, wie es den ukrainischen Spielern gerade geht. Als Martin vom russischen Einmarsch hörte, war er gerade noch im Skiurlaub. „Ich habe sofort den Vorstand kontaktiert, und wir waren uns einig, dass wir helfen wollen“, erzählt er. Der Verein bot den Großmeistern an, sie nach Deutschland in Sicherheit zu bringen - noch bevor die Ukraine an diesem Nachmittag die Ausreisesperre für Männer anordnete. Die Antwort der Großmeister, die in der Schachszene zu den Superstars ihrer Sportart zählen: „Wir bleiben und kämpfen.“ Der Vorstand steht seitdem in ständigem Kontakt mit seinen Spielern. Mal antworten die Männer schnell, mal hören die Vorstandsmitglieder drei bis vier Tage nichts von ihnen.
Saisonstart mehrfach verschoben
„Einer der Spieler ist mit seiner Familie auf der Flucht“, weiß Martin. Großmeister Igor Kovalenko ist in Kiew geblieben, hat sich ein Gewehr geholt, harrt dort aus und ruft zu Spenden auf. In seinem Blog beschreibt er, was vor Ort passiert. Ein weiterer Spieler ist in Lemberg. „Er berichtet von einer starken Flüchtlingsbewegung und versucht, seine Familie außer Landes zu schaffen“, so Martin. Von Lemberg bis zur polnischen Grenze sind es 80 Kilometer.
Dass diese drei ukrainischen Großmeister am Wochenende nicht in Viernheim antreten, ist für den Verein sportlich gesehen ein Nachteil. Das weiß auch Vorsitzender Stefan Schmidt. „Die Gegner können sich so anders auf die Begegnungen einstellen. Aber man muss auch klar sagen, dass der sportliche Wert gerade nicht so hoch gestellt ist. Das hat gerade nicht die höchste Priorität.“ Allerdings sind die Viernheimer in dieser Situation nicht alleine. Nach Angaben der Schach-Bundesliga spielen insgesamt neun ukrainische Großmeister für deutsche Vereine. Auch dem SV Werder Bremen etwa fehlen seine ukrainischen Spieler.
Was ist ein Großmeister?
„Großmeister“ ist der höchste verliehene Titel für Schachspieler. Die Ernennung gilt auf Lebenszeit. Um die Auszeichnung zu erhalten, müssen Schachspieler eine gewisse Performance erspielen. Diese Spielstärke gibt die ELO-Zahl wieder. Mit dem Wert lässt sich die Wahrscheinlichkeit des Ausgangs von Schachpartien vorhersagen. Ein Großmeister hat eine ELO-Zahl von mehr als 2500, Anfänger starten mit einem Wert von unter 1000. Künstliche Intelligenzen in Schachcomputern können sogar Werte von 3600 haben. vs
Das Turnier in Viernheim findet trotzdem statt. Monatelang hat der Verein den Saisonstart der Bundesliga Corona-bedingt verschoben. Eigentlich treten die Spieler von Oktober bis Mai bei Turnieren an, nun startet die erste Runde im März. „Alle Spieler sind froh, dass sie wieder an die Bretter dürfen und nicht nur online spielen müssen“, betont Schmidt. Überschattet wird diese Freude aber laut Verein von den Ereignissen in der Ukraine. Hinzu kommen Planungsunsicherheiten und Ausfälle wegen Corona.
Während des Turniers soll auch eine Resolution verlesen werden. „Damit wollen wir uns aktiv gegen den Krieg aussprechen. Schach ist ein friedliebender Sport“, so Schmidt. Und noch etwas soll in den Turniertag integriert werden: In Absprache mit Großmeister Kovalenko plant der Verein eine Liveschalte nach Kiew. Damit wollen die Viernheimer Schachspieler die russische Öffentlichkeit über die Lage in der Ukraine aufklären. Die Übertragung ist daher auf Russisch geplant und soll englische Untertitel erhalten.
Klare Linie gefordert
Parallel dazu steht der Viernheimer Vorstand im ständigen Austausch mit der Schach-Bundesliga. Denn in den vergangenen Tagen gab es viele Neuregelungen. Fraglich war beispielsweise, ob russische Spieler an Turnieren teilnehmen dürfen. „Wir haben fünf Ukrainer und einen Russen im Kader. Da mussten wir Initiative zeigen und eine klare Stellung einfordern“, so der Viernheimer Schachclub. Die beiden anderen Ukrainer sind derzeit nicht in ihrem Heimatland. Die Stellungnahme folgte an diesem Freitag auf der Webseite der Bundesliga. „Der Vorstand der Schach-Bundesliga empfiehlt, bis auf Weiteres keine Spieler einzusetzen, die den gegen die Ukraine geführten Angriffskrieg nicht aktiv ablehnen.“
Viernheim startet am Samstag in das Turnier und tritt gegen Augsburg an. Es bleibt aber kein Brett leer. „Wir haben uns dazu entschieden, Ersatzspieler nachrücken zu lassen. Und wir überlegen, unseren Spieler in Lemberg hybrid dazuzuschalten. Noch ist es ruhiger dort“, so Martin.
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