Viernheim. Das Handy von Kadir Halici klingelt pausenlos. Schon kurz nach dem Erdbeben in der Türkei trafen sich rund 20 Helfer verschiedener Nationalitäten in seiner Viernheimer Spedition Halici-Transporte, um über eine sinnvolle Hilfe zu beraten. Dabei arbeitet Kadir Halici eng mit Ramazan Urfa von der Palettencity GmbH in Mannheim zusammen. Dort sind bereits so viele Sachspenden eingetroffen, dass Halici angeboten hat, dass Viernheimer ihre Spenden bei ihm abgeben können. „Dann müssen Viernheimer nicht extra nach Mannheim fahren“, sagt er, „und wir haben Platz.“ Doch zeitweise kommt auch er an seine Kapazitätsgrenzen und muss darum bitten, mit der Abgabe der Spenden zu warten.
Halici ist im Alter von neun Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. Schon als so viele Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kamen, hat er gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz Spenden gesammelt und Personal sowie Lkw zur Verfügung gestellt. Auch dieses Mal war für den Vater von sechs Kindern sofort klar, dass er helfen möchte: „Das ist Menschlichkeit.“ Seine Familie hat keine Verwandten im Erdbebengebiet. Doch ein guter Freund ist in Trauer: Seine Schwester, ihr Ehemann und ein Kind sind ums Leben gekommen. Vier Kinder wurden aus den Trümmern gerettet. „Sie sind nun im Krankenhaus“, sagt Halici. Was die Zukunft bringt? Das sei alles offen. Halici kämpft mit den Tränen, ihm fehlen die Worte.
Zu den vielen Spendern zählen Mitbürger türkischer wie deutscher Herkunft, aber auch viele andere Nationalitäten. Gebraucht werden Dinge des täglichen Bedarfs für Babys, Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Auf dem Lagerplatz ruft jemand inmitten von Säcken: „Kinderschuhe hierher.“ Unter freiem Himmel bei Temperaturen unter fünf Grad Celsius sortieren Helfer Zahnbürsten, Zahnpasta und Hgyiene-Artikel in Kartons, andere packen Babynahrung ein. Weitere Ehrenamtliche prüfen sorgsam Kleiderspenden und Decken auf ihren Zustand und die Sauberkeit.
Sortieren, verpacken, beschriften
Die Sortierarbeit ist wichtig, denn Spenden in Tüten dürfen nicht in die Lkw verladen werden. Halici erklärt: „Wir sortieren die Spenden vor, dann werden sie in Kartons verpackt und beschriftet.“ So wird sichergestellt, dass keine beschädigten oder verschmutzten Kleider oder Gegenstände ins Katastrophengebiet transportiert werden und dort die Situation noch verschlimmern könnten. So kann es durchaus passieren, dass Lkw mit unsortierten Spenden vom Zoll aufgehalten werden. „Dann muss der gesamte Lkw entladen und geprüft werden“, erklärt Halici, „das wollen wir nicht.“ An diesem Tag ist das Helferteam bis nach 22 Uhr in Aktion, bis alle Arbeit getan ist.
Wettlauf mit der Zeit
Zu den Helfern gehört auch Halicis Tochter Aylin Resuloglu. Die Speditionskauffrau sagt: „Wenn wir in so einer schlimmen Lage wären, würden wir auch gerne jede Hilfe erhalten. So hoffen wir, dass alles rasch bei den Menschen in Not ankommt.“ Auch für Rajaa Dilara Aydin, ebenfalls eine Tochter Halicis, ist es selbstverständlich, dass sie Stunde um Stunde Sachspenden sortiert: „Wenn man die Fotos und Videos mit den Menschen sieht, die Hilfe brauchen, möchte man unbedingt helfen. So tun wir, was wir tun können – wir machen es gerne.“
Kemal Yilmaz aus Hockenheim studiert Wirtschaftswissenschaften. Er hat von der Viernheimer Initiative zufällig gehört und ist sofort gekommen. Er sagt: „Ich bin zwar in Deutschland aufgewachsen und kenne die Türkei nur durch Reisen. Aber in dieser Situation erwacht der Patriotismus in mir – ich möchte helfen.“ Er wäre sofort bereit, in das Krisengebiet zu reisen. Doch er ist vernünftig: „Jetzt werden Fachleute gebraucht.“ Hinzu kommt, dass die Türkei in dieser schwierigen Lage nur wenige Ausländer in das Krisengebiet vorlässt: Häuser sind einsturzgefährdet und beschädigte Straßen nur schwer passierbar. Außerdem werden Nachbeben befürchtet.
Es ist ein Wettlauf mit der Zeit: Die Spenden sollen rechtzeitig die Menschen in Not erreichen. Deshalb werden in Viernheim dringend ehrenamtliche Helferinnen und Helfer gesucht, die beim Sortieren und Verpacken mitanpacken. Sobald die Spenden sortiert und verpackt sind, werden sie in Viernheim direkt in Lkw verladen und so rasch wie möglich in die Türkei gebracht. Gleichzeitig ist es so: Sobald der Platz bei der Spedition wieder frei ist, kann Halici neue Spenden annehmen. Deshalb hilft auch die 15 Jahre alte Babiya beim Sortieren: „Hier wird jede helfende Hand gebraucht.“
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