Soziales

So ist Weihnachten im Viernheimer Hospiz Schwester Paterna

Traurigkeit und Freude gehen an Heiligabend im Hospiz Schwester Paterna Hand in Hand. Denn klar - wer im Hospiz wohnt, erlebt sein letztes Weihnachten. Bewohner und Mitarbeiterinnen geben Einblick in ihre Feiertage

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Intensives Miteinander im Hospiz: Peter Schwarz (v.r.), Silvana Casabona und Marina Brundo verbringen die Feiertage mit Besuchern und Mitbewohnern. © Kathrin Miedniak

Viernheim. Es gibt Wienerle und Kartoffelsalat, dann werden die Geschenke ausgepackt. Am Ende schauen alle zusammen „Der kleine Lord“. In der Ecke steht der Weihnachtsbaum, sein Licht fällt auf den Tisch, um den sich eine kleine Gruppe Menschen versammelt hat. Es wird gelacht. Und auch mal geweint. Denn es ist kein gewöhnlicher Heiligabend. Es ist ein letztes Weihnachten.

Drei Tage vorher: „Heute war der Doktor da“, sagt Peter Schwarz. Kurz ist es still im Zimmer. Nur das Zischen des Sauerstoffgeräts ist zu hören, als der 69-Jährige angestrengt einatmet. „Er meint, Weihnachten erlebe ich noch.“ Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Ich freue mich darauf“, sagt er. Wieder einatmen. Dann, mit Nachdruck: „Auch hier im Hospiz kann man sich auf Weihnachten freuen!“

An ALS erkrankt

Seit Oktober lebt Peter Schwarz im Hospiz Schwester Paterna. Er hat ALS, eine Erkrankung des Nervensystems. Die Folgen machen ihm das Leben zunehmend schwer. Sehr, sehr schwer. Aber er winkt ab. Darüber will er heute nicht sprechen. Sondern über Weihnachten. Denn das findet nicht nur in tausenden Viernheimer Wohnzimmern statt. Es wird auch im Hospiz gefeiert. Vielleicht sogar intensiver als überall sonst.

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„Die Feiertage sind bei uns im Hospiz besonders schön, sehr familiär“, sagt Ines Steyrleuthner vom Leitungsteam. Aber gleichzeitig sind diese drei Tage auch besonders schwer. „Unsere Gäste, die Angehörigen und auch wir Mitarbeiter haben alle ein bisschen Bammel. Vor dem, was kommt, vor der Trauer und vor der Leere am nächsten Weihnachten.“

Auch Peter Schwarz schwankt zwischen Freude und Wehmut. „Ich bin ein Weihnachtsmensch“, sagt er. Die vergangenen 68 Christfeste habe er mit Hingabe gefeiert, erst als Kind, später mit seiner Frau, den zwei Kindern, den drei Enkeln. Kein Grund, jetzt damit aufzuhören. In seinem Zimmer im Hospiz leuchtet ein Schwibbogen auf einem Regal zwischen Fotos seiner Familie. Auf einer Kommode drängen sich eine Krippe, ein Weihnachtsstern und noch einiges anderes, was rot und golden glitzert und Weihnachtsstimmung verbreitet. Doch da sind auch das Sauerstoffgerät und der Rollstuhl. Und am Tisch im Aufenthaltsraum klafft seit kurzem eine Lücke. „Am zweiten Advent saßen wir dort noch zu fünft“, erzählt Schwarz. Jetzt seien sie nur noch zu zweit. „Dabei hatten wir doch vereinbart, vor Weihnachten wird nicht gestorben.“

An Heiligabend sind alle Zimmer des Hospizes wieder gefüllt, aber nicht alle schaffen es zur Feier im Wohnraum. Viele Gäste des Hospizes sind zu schwer krank. Trotzdem zieht der Geist der Weihnacht durch alle Räume. In Gestalt von Mitarbeiterin Rita, die als Rauschgoldengel Geschenke verteilt. Und in Form von leckeren Essensdüften.

Alle Menü-Wünsche werden erfüllt

Schon Tage vorher hat Mitarbeiterin Silvana Casabona alle nach ihren Menü-Wünschen gefragt. „Das ist wie in einer Familie“, sagt sie lachend, „gar nicht so einfach alle unter einen Hut zu bekommen. Aber wir erfüllen alle Wünsche, die wir erfüllen können.“ Und wenn es für den einen Rindswurst mit Süßsauer-Soße ist. Oder doch ein echtes Festmahl aus Braten, selbstgemachten Klößen und Rotkohl. „Dazu gibt es guten Wein“, lobt Peter Schwarz „und hinterher einen Schnaps“, ergänzt er augenzwinkernd.

Die Tage genießen ist seine Devise - genauso wie schon sein ganzes Leben lang, auch mit gutem Essen. Doch das Wichtigste ist für ihn: „Meine Familie“, sagt er. „Und die wahren Freunde, die mich auch hier besuchen.“ Sie begleiten ihn durch die Feiertage. Bescheren ihm frohe Stunden. Und helfen durch die Momente, in denen die Tränen kommen. „Ich freue mich, aber ich bin auch aufgeregt“, bekennt Peter Schwarz vor dem Fest. Er hofft, seine Kraft reicht aus.

Es klopft an der Tür. Mitarbeiterin Marina Brundo schaut ins Zimmer. „Der Kinderchor der Fröbelschule kommt gleich. Hast du Lust, Peter?“ Und ob! Mit dem Rollstuhl fährt Schwarz nah an die offene Terrassentür im Wohnraum. Die Atemmaske lässt er in seinem Zimmer zurück. Kurz muss es auch mal so gehen. Und tatsächlich reicht die Luft sogar zum leisen Mitsingen bei „Alle Jahre wieder“. Immer mehr Menschen kommen aus den Zimmern, Füße wippen im Takt der Musik, Mitarbeiterin Marina Brundo legt ihren Arm um die Schultern eines Mannes.

Am nächsten Tag wird es ein Klavierkonzert geben. Und an einem anderen Tag hat sich ein Viernheimer mit seiner Gitarre angekündigt. „Das sind schöne gemeinsame Erlebnisse, an die auch wir Mitarbeiter uns erinnern können“, sagt Ines Steyrleuthner vom Leitungsteam. Denn auch für sie sei es immer wieder schwer, wenn ihre Gäste sterben. Allein 99 waren es dieses Jahr. „Gerade in den letzten Wochen waren es ein paar. Ausgerechnet vor Weihnachten“, sagt ihre Leitungskollegin Janina Otte bedrückt. Doch die Nähe des Todes mache die Feiertage auch sehr besonders.

Mitarbeiterin Marina Brundo hat an diesen Tagen Dienst - und freut sich darüber. Seit sie im Hospiz Weihnachten feiere, habe sich ihr Blick auf das Christfest verändert, sagt sie. „Ich lege keinen Wert mehr auf Luxus, auf zu viel Kommerz. Alles ist vergänglich, das erlebe ich hier jeden Tag.“ Sie sei dankbarer geworden. Auch ihre Kollegin Silvana Casabona arbeitet an Weihnachten. Die Tatsache, dass ihre Mitfeiernden bald sterben müssen, sei zwar nicht leicht, aber gerade deshalb werde bewusster gefeiert, viel gelacht, die kostbare Zeit intensiv genossen. „Es ist hier einfach schrecklich schön“, sagt sie.

Hospiz als „Vorhof zum Paradies“

Peter Schwarz muss lachen. Casabonas Beschreibung erinnert ihn daran, wie seine Zimmernachbarin das Hospiz nannte. Die Frau, mit der er noch vor zwei Wochen abends Rotwein trank und über Gott und die Welt redete, und die jetzt nicht mehr da ist. „Sie sagte, das ist hier der Vorhof zum Paradies“, murmelt er versonnen. „Das trifft es. Alle sind hier so einfühlsam. Das habe ich noch nie erlebt.“ Für ihn macht das sein letztes Weihnachten vielleicht zu einem seiner schönsten Christfeste. „Ich bin einfach froh, dass ich Weihnachten noch einmal erlebe - und schaue danach, was kommt.“

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