Viernheim. Speziell für den Viernheimer Kunstverein hat das Künstler-Duo Eric Carstensen und Michael Volkmer die Ausstellung „Schweigen streuen“ entworfen. Dafür haben sie Objekte aus früheren Präsentationen verwendet, sich bei deren Installation aber von den Viernheimer Räumen inspirieren lassen. In dieser Spannung aus Vergangenheit und Aktualität sind den Video- und Konzept-Künstlern ganz eigenartige Arbeiten gelungen. Der Besucher sollte ein bisschen Zeit mitbringen, wird dann aber tief berührt. Fritz Stier, Leiter des Kunstvereins Viernheim, betont: „Das Duo ist für Insider eine Legende.“
Wer die Ausstellung betritt, sieht eine Video-Installation mit übergroßen Porträts: Denn vor rund 20 Jahren filmte das Duo 160 Menschen, die vor der Kamera über ihre Utopien des Lebens sprachen. Zu Beginn der Aufnahmen waren die Befragten gebeten worden, 30 Sekunden lang zu schweigen. Anschließend reihten die Künstler die schweigenden „Momente“ der Menschen im Alter zwischen sieben und 94 Jahren aneinander.
Der Betrachter kann beobachten, wie unterschiedlich Menschen auf einen Augenblick der Stille vor laufender Kamera reagieren: mal unsicher, abwartend und nervös, einige aber auch selbstsicher, leicht verärgert oder neugierig. Auch die Schauspielerin Ulrike Folkerts „durfte“ 30 Sekunden schweigen. Da sie jedoch an die Kamera schon gewöhnt war, tat sie sich damit leichter als andere.
Strapazierte Aufmerksamkeit
Zu den schweigenden Gesichtern werden zwei Interviews eingespielt: Eine Frau erzählt von ihrem Engagement im sozialen Bereich, und ein Obdachloser berichtet von Erlebnissen aus seiner Perspektive. Carstensen sagt: „Es ist schwer, ihnen zuzuhören.“ Es ist wohl durchaus die Absicht der beiden Künstler, die Aufmerksamkeit der Betrachter zu strapazieren.
Das gilt ganz sicher auch für die nächste Video-Installation, die eine Film-Idylle am Meer zeigt. Davor liegt am Boden ein echtes Schlauchboot, das ganz allmählich die Luft verliert. Damit erinnern die Künstler an das Leid von Flüchtlingen. Die freie Kulturredakteurin Annika Wind erläuterte in ihrer Einführung: „Aber die Aufmerksamkeit der Welt ist durch Ukraine-Krieg, Klimakrise, Inflation und Energienotstand gerade auf andere Schauplätze gerichtet.“
Ein anderes Schweigen wird mit zwei Puppen sichtbar gemacht: Ein Pfarrer und eine kleine Spieluhr, mit der man Kinder beim Einschlafen begleiten kann. Noch einmal Wind: „Unter dem Mantel des Schweigens hat die Kirche manchen Umgang mit Kindern gebettet.“
So hatte sie tiefstes Verständnis für das nächste Kunstwerk: Übergroß sind die Buchstaben des Wortes „Fuck“ zu sehen. Das Wort stand ursprünglich in einer anderen Kombination, nämlich „Love – Peace – Fuck“ in einem Nacht-Club. Nun wird das isolierte Wort zum Ventil, wie Carstensen erläuterte: „Fuck-Situation.“
Das Duo arbeitet seit 1996 unter dem Namen „superart.tv“ zusammen. Carstensen stammt aus der Bretagne und ist in der Pfalz aufgewachsen. Während des Zivildiensts in einem sozialen Brennpunkt von Ludwigshafen entdeckte er den Zauber, mit anderen gemeinsam künstlerisch tätig zu sein.
Carstensen studierte zunächst an der Freien Kunstakademie in Mannheim und wechselte dann zur Folkwang-Schule in Essen. Heute betreibt der freischaffende Künstler in Mannheim eine Galerie.
Volkmer ist in Ludwigshafen aufgewachsen. Er fand über die Underground-Szene mit Graffiti zur Kunst. Auch er studierte an der Freien Kunstakademie in Mannheim. Er erhielt ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung und gestaltete das Mahnmal für die Opfer der Zwangssterilisation während des Nationalsozialismus.
„Damit Gemeinsames entsteht“
Eigentlich wollten die beiden Künstler zu Beginn nur ein kurzes Projekt zusammen gestalten. Nun arbeiten sie bereits 26 Jahre lang zusammen. Wind erklärte: „Dabei sind sie getrieben von dem Wunsch, das Werk des einen um die Arbeitsweise des anderen zu erweitern, damit ein Gemeinsames entsteht.“
Claus Bunte vom Kunstverein freute sich, die Ausstellung sei „ein Glücksfall“.
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