Viernheim. Schauspieler Robert Stadlober hat sich intensiv mit dem Werk von Kurt Tucholsky beschäftigt. Das Ergebnis sind ein Buch mit dem Titel „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ und ein Musikprogramm, für das der Schauspieler einige Gedichte vertont hat. Beides hat er jetzt in Viernheim vorgestellt.
Stadlober selbst spielt E-Gitarre, Daniel Moheit Akkordeon. Dabei entsteht ein schwebender Klang, der im Kontrast steht zu den oft kantigen, ausdrucksvollen Texten von Kurt Tucholsky.
„Wir sind ausverkauft, das ist wunderbar“, verkünden die Chaiselongue-Veranstalter Manfred Brandmüller und Helmut Neumann vor dem Konzert im Treff im Banhof (TiB) in Viernheim. Unterstützt wird die Veranstaltung von der Stadt Viernheim, dem Museum, Kubus und dem Viernheimer Appell.
Die Rolle des Joseph Goebbels wieder abstreifen
Stadlober spielte im vergangenen Jahr im Film „Führer und Verführer“ Goebbels und brauchte einen Weg, die Rolle wieder abzustreifen, erklärte er dem Viernheimer Publikum. Das Werk von Tucholsky sei wie „ein Exorzismus“ gewesen, und „gleichzeitig ein verspäteter Sieg Tucholskys über Goebbels“, so Stadlober.
Der Schriftsteller und Publizist Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren, er starb 1935 in Göteborg im Exil. Sein Werk spiegelt die Kaiserzeit, den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik wider.
„Er liegt in Schweden in der Erde, aber seine Gedanken sind in diesem kleinen Band“, sagt Stadlober und zeigt das Buch. Vor- und Nachwort stammen von ihm, die Einführung liest er dem Publikum vor: Eine Person steht in Berlin am Bahnhof Zoo, steigt in einen beliebigen Zug und fährt vorbei an der „Goldelse“ auf der Siegessäule, dem Schloss Bellevue und dem Kanzleramt, liebevoll „die Waschmaschine“ genannt.
Jedes Alter Ego hat seinen eigenen Charakter
„Man fährt quer durch die Zeit des Landes, mit dabei sind fünf Herren mit Hüten: Kurt Tucholsky und seine vier Alter Egos Peter Panter, Theobald Tiger, Kaspar Hauser und Ignaz Wrobel. Sie erzählen über ihre Wanderungen und ihren Widerstand, wir hören ihnen zu.“
Jedes Alter Ego hat einen anderen Charakter. Ignaz Wrobel zum Beispiel ist ein Griesgram. Er stellt die Frage: Was darf Satire? „Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: Nein! Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine“, zitiert Stadlober. Ein Satiriker ist ein „gekränkter Idealist, der die Welt gut haben will und gegen das Schlechte anrennt. Die echte Satire ist „blutreinigend“. Und was darf sie? „Alles!“ Dieser Ausspruch sei in letzter Zeit oft überstrapaziert worden, ohne Berücksichtigung des restlichen Textes, denn Tucholsky zeichnet genau ab, was Satire ist.
Robert Stadlober
Robert Stadlober wurde am 3. August 1982 im österreichischen Friesach in Kärnten geboren , wuchs in Berlin auf.
Er arbeitet als Schauspieler, Synchron- und Hörbuchsprecher , aber auch als Musiker und Sänger .
Bekannt wurde er 1999 durch den 70er-Jahre-Kultfilm „Sonnenallee“ von Leander Haußmann. Danach folgten unzählige Kino- und Fernsehfilme in denen er Rollen spielte, mit denen er seinen Ruf, ein Spezialist für die Darstellung von Außenseitern und Rebellen zu sein, festigte.
Zu seinen bekanntesten Filmen zählt „Krabat“ nach dem Kinderbuch von Otfried Preußler. In dem Film „Führer und Verführer“ (2024) spielt er Joseph Goebbels, Reichspropagandaleiter der NS-Zeit. kge
Mit dem Text „Nur“ führt Stadlober das Publikum in die „Niederungen des Proletariats.“ Woran erkennt man Leute, die hart arbeiten? „Die, die unter der Woche gähnen, haben richtige Arbeit. Die anderen sind Bohemiens.“ Zu letzteren zählt er auch sich selbst – mit einem Augenzwinkern.
Tucholsky interessierte sich für die prekäre Situation der Arbeiter. Sie haben die Türme nicht gebaut, „sie haben sie nur gemauert“. Nur? Die Architekten haben den Ruhm, die Maurer schuften für wenig Lohn, von „nur“ kann keine Rede sein.
Tucholskys Themen sind äußerst vielseitig, im Gedicht „Der Pfau“ geht es um Eitelkeit. „Ich weiß, dass ich sehr schön bin … ich bin sehr teuer, selten und nervös“, singt Stadlober, und man kann kaum glauben, dass die Texte schon 100 Jahre alt. Durch die Vertonung der beiden Musiker wirken sie aktuell. Ergreifend ist ein Text, in dem Tucholsky die Erinnerungen an seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg verarbeitet.
Die Soldaten lassen sich in einem äußerst unwirtlichen Quartier nieder, das Schritt für Schritt bewohnbar gemacht wird. Als es schließlich zu ihrer Heimat geworden und nahezu perfekt ist, müssen sie weiterziehen, und das Spiel beginnt von vorn.
Krieg ein dominantes Thema in Tucholskys Werk
Das Thema Krieg kommt häufig vor im Werk Tucholskys, und es ist noch immer aktuell. „Die Situation verschärft sich. Immer mehr Leute kennen sich mit Krieg aus und wissen, welche Waffen man wo braucht. Dazu möchte ich nur John-Lennon-mäßig sagen: Fuck war.“
Das Gedicht „‘s ist Krieg“, veröffentlicht als Kaspar Hauser, hat Stadlober vertont. Er warnt das Publikum vor: „Der Sound ist fürchterlich.“ Es wird laut, es wird in die Saiten gehauen und mit den Füßen gestampft, es erinnert an Punk oder NDW – auf Tucholsky würde man nicht kommen. Mit dem verblüffenden Effekt, das Alte neu klingen zu lassen, füllen Stadlober und Moheit den Abend und müssen mehrere Zugaben spielen.
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