Hospizverein

Pfarrerin findet in Viernheim Worte über das Sterben

"Sterben ist so unterschiedlich wie die Menschen auch", sagt Pfarrerin Christiane Bindseil. Sie hat einige ihre Erlebnisse in einem Buch niedergeschrieben, das sie nun in Viernheim in der Kulturscheune vorgestellt hat

Von 
Marion Gottlob
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Christiane Bindseil bei der Lesung in der Kulturscheune. © Bernhard Kreutzer

Viernheim. Kurz vor Beginn der Lesung zum Welthospiztag wurde es in der Kulturscheune mucksmäuschenstill. Autorin und Pfarrerin Dr. Christiane Bindseil sagte in das Schweigen: „Ich freue mich, dass ich bei Ihnen sein darf.“ Angesichts der weltweiten Gewalt und Grausamkeit lenkte sie den Blick auf den einzelnen Menschen, sein Leben und Sterben: „Sterben ist so unterschiedlich wie die Menschen auch. Wie ist Sterben hier bei uns?“ Eingeladen hatte der Viernheimer Hospizverein.

Christiane Bindseil ist heute Pfarrerin in der Gemeinde Heidelberg-Kirchheim. Zuvor war sie acht Jahre lang Klinikseelsorgerin am Salem-Krankenhaus in Heidelberg. Mit ihrer Kollegin Karin Lackus schrieb sie das Buch „Mir geht es gut, ich sterbe gerade“. Sie erklärte: „Wir unterliegen der Schweigepflicht. Die Menschen, von denen wir erzählen, hat es so nicht gegeben. Doch die Erfahrungen sind authentisch.“

Die erste Geschichte handelte von der Patientin Anna. Sie begrüßte die Pfarrerin mit den Worten: „Ich habe solche Angst vor dem Sterben.“ Gibt es die Hölle? Die Pfarrerin erzählte von ihrer persönlichen Überzeugung, „dass wir nach dem Tod bei Gott geborgen sind.“ Später sagte Anna: „Ich fühle mich die ganze Zeit, als würde ich auf einem hohen Berg stehen und soll springen, aber ich traue mich nicht.“

In einer Nachttischschublade hatte Anna Tabletten aufbewahrt: „Ich habe mit den Ärzten gesprochen. Ich weiß genau, wie und dass es funktioniert.“ Sie wollte in nächster Zukunft einen Termin festlegen, um ihr Leben zu beenden: „Dann hört diese Angst auf.“ Zunächst besuchte Pfarrerin Bindseil Anna regelmäßig, und Anna erzählte von ihrem Leben. Dann entschied sich Anna für einen Dienstag, um die Tabletten zu nehmen. Zuvor nahm sie Abschied von ihrer Familie. Als die Pfarrerin sie am Montag besuchen wollte, war Anna gestorben. Die Pfarrerin las leise: „Die Tabletten lagen unangetastet in der Nachttischschublade.“

Oft haben, so Pfarrerin Bindseil, die Menschen vor dem Tod das Bedürfnis, Bilanz für ihr Leben zu ziehen. Sie sagte: „Unser Leben bleibt bruchstückhaft. Es ist gut, sich das einzugestehen.“ So erzählte die Patientin und Diabetikerin Elsbeth der Pfarrerin, dass sie sich seit ihrer Kindheit strikt die Diabetiker-Vorschriften für Ernährung und Bewegung eingehalten hatte. Dennoch wurde Elsbeth infolge der Erkrankung langsam blind.

Dann erhielt die Patientin die Diagnose einer Krebserkrankung. Sie konnte das nicht begreifen: „Das kann nicht sein.“ Ihr wurde bewusst, dass sie ihr Leben mit den vielen Regeln und dem harten Verzicht vielleicht nicht gelebt hatte. So machte sie, kurz vor ihrem Tod, eine Reise an die Nordsee. Später besuchte die Pfarrerin die Patientin erneut. Auf dem Tisch stand ein Blumenstrauß. „Völlig unvernünftig. So viel Geld und so viel Farbe - und ich sehe nichts,“ meinte Elsbeth lächelnd, „trotzdem ist er wunderschön“.

Manchmal wagen weder die Patienten noch die Angehörigen, über den Tod zu sprechen. Doch dieses Schweigen kann sehr bedrückend sein. So bat Patientin Marion die Pfarrerin: „Helfen Sie mir, mit meinem Bruder zu sprechen.“ So war die Pfarrerin bei dem nächsten Besuch des Bruders im Krankenzimmer dabei. Sie sagte zu dem Bruder: „Ihre Schwester hat den Wunsch geäußert, ein paar Dinge zu regeln.“ Der Bruder sagte sofort: „Meine Schwester wird gesund.“ Dann holte er aus einer Tasche mehrere Vollmachten, die er vorbereitet hatte. Nun, in Anwesenheit der Pfarrerin, weinten Schwester und Bruder - und füllten dann die Papiere aus.

Erika Anschütz und Ludwig Dieckmann begleiteten die Lesung auf der Violine mit Stücken von Jean-Marie Leclaire, Bélá Bartók und Thomas Morley. Nach der Lesung wurde es erneut ganz still. Sabine Engelmann, Koordinatorin des Hospizvereins, sagte nur: „Herzlichen Dank.“

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