Viernheim. „Sie gehören zu uns wie Familie, Freunde und Heimat. Sie berühren und trösten uns und geben in schwierigen Situationen Rat. Märchen erzählen von Ängsten und Hoffnungen, von der Suche nach Liebe und Glück“, erklärte Geschichtenerzählerin Renate Rein ihren Zuhörern. Bei einer Veranstaltung unter der großen Linde im Garten des Heimatmuseums präsentierte sie in eigenen Worten Märchen, in denen es ums Spinnen und Weben geht. Rein hatte dazu auch passende Gerätschaften, darunter ein Spinnrad, mitgebracht.
Das Handwerk des Spinnens lässt sich schon für die Zeit vor rund 30 000 Jahren nachweisen. Königinnen wurden immer wieder mit Handspindeln abgebildet. Für viele Frauen war das Spinnen über lange Zeit eine vertraute Tätigkeit mit hoher gesellschaftlicher und sozialer Bedeutung. Daher war es auch in Märchen ein beliebtes Motiv.
Sohn des Königs reitet durchs Land
Zuerst erzählte Renate Rein mit ihrer sanften aber eindringlichen Stimme das Märchen „Spindel, Weberschiffchen und Nadel“. Darin wird ein Mädchen, das beide Eltern verloren hat, von einer Patin in einem kleinen Häuschen aufgezogen. Vor ihrem Tod sagt die Patin zu dem Mädchen: „Ich hinterlasse Dir das Häuschen sowie Spindel, Weberschiffchen und Nadel, damit Du Dir Dein Brot verdienen kannst.“
Eines Tages reitet der Sohn des Königs durchs Land, um sich eine Braut zu suchen. Als er zum Fenster des Häuschens hereinsieht, wird das Mädchen rot, arbeitet aber mit ihrer Spindel weiter. Als der Prinz wegreitet, singt das Mädchen: „Spindel, Spindel geh du aus, bring den Freier in mein Haus.“ Daraufhin rollt die Spindel dem Prinzen hinterher. Das Weberschiffchen webt einen kostbaren Teppich vor der Tür. Die Nadel überzieht das Häuschen mit einem prächtigen Stoff. Von der Spindel zurückgeholt, hält der Prinz um die Hand des Mädchens an. Sie heiraten. Spindel, Weberschiffchen und Nadel kommen in die Schatzkammer des Schlosses.
Als zweites Märchen erzählte Rein ihrem Publikum den Klassiker „Rumpelstilzchen“. Darin hilft ein kleines Männlein einer Müllerstochter, die für den König, ihren zukünftigen Ehemann, Stroh zu Gold spinnen soll. Schließlich muss sie dem Männlein ihr erstgeborenes Kind versprechen.
Als das Männlein das Kind abholen will, fleht die Königin darum, es behalten zu dürfen. Das Männlein willigt unter der Bedingung ein, dass sie innerhalb von drei Tagen seinen Namen herausbekommen muss. Durch Zufall hört ein königlicher Bote, wie das Männlein dessen Namen singt. Als die Königin nun diesen Namen nennen kann, zerreißt Rumpelstilzchen sich vor lauter Zorn selbst.
Anschließend diskutierte das Publikum im Museumsgarten unter anderem über folgende Fragen: Sollte mit dem Märchen die menschliche Profitgier dargestellt werden? Warum wird der König nicht bestraft? Hat die Müllerstochter ihr Glück auf einer Lüge aufgebaut? Renate Rein und Museumsleiterin Gisela Wittemann versprachen, bald wieder eine Märchenstunde zu organisieren.
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