Viernheim. Vier Uhr morgens. Bitterkalt. Schummriges Licht der Straßenlaternen. Still. Menschenleer - beinahe. Zwei Gestalten sind zu sehen. Sie heben einen Stapel vom Boden auf und gehen los in Richtung ihres fahrbaren Untersatzes. Dieter Steck schwingt sich aufs Fahrrad - und Stefanie Mandel steigt ins Auto.
"Normalerweise bin ich mit dem Roller unterwegs, aber bei glatten Straßen ist es sicherer mit dem Auto." Das Wetter macht sich natürlich bemerkbar bei ihrer Arbeit. Aber Stefanie Mandel weiß, wie sie damit umzugehen hat. Immerhin ist sie seit über zwölf Jahren Zeitungsausträgerin für den "Südhessen Morgen". In der eisigen Nacht auf den Rosenmontag nimmt sie ihn gleich zweifach mit auf ihre Tour - sowohl in Form der Exemplare als auch eines Mitarbeiters der Redaktion.
80 Zeitungen müssen unter der Woche bis spätestens sechs Uhr in den Briefkästen sein. Nun heißt es: Den Stapel bei "Zorn" in der August-Bebel-Straße ins Auto packen - und beim ersten Halt die Exemplare sortieren. Das bedeutet: Die druckfrischen "SüMos" werden je nach Haushalten auf dem kommenden Streckenabschnitt abgezählt und gegebenenfalls andere Zeitungen, welche die Kunden auch noch abonniert haben, mit eingefügt.
Individuelle Wünsche
Danach steigt Mandel aus und läuft ihre gewohnte Strecke zu Fuß. Dabei benötigt sie die Liste, auf denen die Kunden und ihre Adressen stehen, schon lange nicht mehr: "Mittlerweile finden die Zeitungen ihren Weg ganz allein."
Nicht nur die Auto-Abstellplätze und Laufstrecken sitzen perfekt. Auch die individuellen Wünsche der Kunden berücksichtigt Mandel. "Bei manchen soll ich die Zeitung direkt vor die Tür legen." Und "hier", zeigt die Austrägerin, "kommt sie auf den Mülltonnendeckel."
Die meisten wollen die Zeitung natürlich im Briefkasten haben. Aber auch da gibt es Unterschiede. Für ein Mehrparteienhaus hat sie den Haustürschlüssel erhalten, um an die Postfächer im Inneren zu gelangen. In einem anderen Haus hat eine Familie darum gebeten, dass ihre Zeitung nicht in den Sammelbriefkasten kommt: "Denn dort gab es wohl öfters ,Mitleser'". Um Diebstahl zu verhindern, achtet Mandel darauf, die Zeitungen ganz in den Postkasten zu schieben. "Mir ist nämlich wichtig, dass alle Kunden zufrieden sind."
Ganz menschenleer ist ihr nächtlicher Weg nicht. Neben Kollegen begegnet sie regelmäßig diversen Zwei- und Vierbeinern. Denn so mancher Kunde mit ähnlichem Bio-Rhythmus freut sich über ein kleines Schwätzchen, wenn er sich die Zeitung persönlich überreichen lässt. Und auch die immer wieder als Postboten-Feinde verrufenen Hunde hat sich Mandel zu Freunden gemacht: "Ich habe Leckerlis dabei - und es gibt Hunde, die warten schon auf mich", erzählt sie schmunzelnd.
Mann das Leben gerettet
Routine hin, Routine her - manches kann man auch nach zwölf Jahren Arbeitserfahrung nicht vorhersehen. Erst vor einigen Wochen machte die 47-Jährige einen schrecklichen Fund: "Als ich im Industriegebiet, in der Nähe des Vogelparks, um die Ecke lief, lag da ein blutüberströmter Mann in einer Garagenauffahrt." Sie alarmierte sofort die Sanitäter - und rettete dem Mann so das Leben. "Die Johanniter sagten mir später, dass er wohl zusammengeschlagen worden war. Hätte er noch länger in der Kälte gelegen, wäre er gestorben." Das war bisher Mandels einzige Erfahrung in dieser Hinsicht. Aber von anderen Austrägern weiß sie, dass ihnen auch schon schlimme Dinge passiert sind. Einige seien sogar überfallen worden. "Gerade im Industriegebiet hat man in den dunklen Ecken schon ein mulmiges Gefühl, weil es keine Privathäuser gibt, wo man schnell mal klingeln könnte. Da läuft man gleich mit vier wachsamen Ohren herum."
Trotz immer gleicher Wege und weniger unschöner Erfahrungen ist Mandel mit Spaß bei der Arbeit. "Ich bin sowieso Frühaufsteherin und brauche morgens gar keinen Wecker mehr." Vor allem genießt sie es, an der frischen Luft zu sein.
"Und es ist mehr oder weniger die Ruhe vor dem Sturm. Nach einer Kaffeepause beim Imbiss setze ich mich mit meinem Mann und meiner Tochter an den Frühstückstisch, lese selbst noch die Zeitung und fange dann um halb acht Uhr an, als Tagesmutter auf fünf Kinder aufzupassen."
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