Viernheim. Die Stadt Viernheim muss zu Beginn des neuen Jahres mit einer verstärkten Zuweisung von Geflüchteten rechnen. Etwa 90 Migranten sollen ab 11. Januar – verteilt auf drei Wochen – in das frühere Bürogebäude in der Lilienthalstraße einziehen. Das teilt Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf auf Anfrage dieser Redaktion mit. Bürgermeister Matthias Baaß geht davon aus, dass das Gebäude der Firma Pfenning somit zeitnah mit etwa 120 Menschen voll belegt sein wird und dann zusätzliche Unterkünfte zu eröffnen sind. Im Februar stünden große Wohncontainer für bis zu 150 Menschen auf dem ehemaligen Bauhof-Gelände in der Industriestraße bereit. Zwei weitere Containerdörfer dieser Größenordnung seien in Vorbereitung. Viernheim schafft Baaß zufolge damit die Voraussetzungen, bis Ende 2024 bis zu 540 Zuwanderer aufnehmen zu können.
Nach Angaben von Schimpf ist die Stadt im Vergleich zu anderen Kommunen der Region bei der Aufnahme von Menschen aus Drittländern wie Afghanistan, Syrien oder der Türkei im Rückstand. Grund dafür sind unterschiedliche Auffassungen von Kreis und Stadt zum baulichen Konzept für die Unterbringung der Geflüchteten auf dem früheren Firmengelände. Dies hatte zur Folge, dass dort bislang nur maximal 30 Personen wohnen konnten.
Grünen-Politiker Schimpf erklärt, es habe Mängel beim Brandschutz gegeben. Unter anderem ging es in dem Konflikt darum, ob die Elektrogeräte innerhalb oder außerhalb des Gebäudes in Containern aufgestellt werden. Die Stadt sollte nachbessern, habe aber erst vor wenigen Tagen – und somit mehr als ein halbes Jahr nach der Eröffnung der Einrichtung – den vollständigen Bauantrag eingereicht. „Es hat ein bisschen gerumpelt“, sagt der Dezernent für Bauaufsicht und Migration im Landratsamt rückblickend. Mittlerweile sei alles vorbesprochen, die Genehmigung reine Formsache.
Widersprüchliche Aussagen
Baaß will diese Darstellung so nicht stehen lassen. Der Viernheimer Rathauschef berichtet, die Stadt habe das Gebäude in der Lilienthalstraße ein Jahr zuvor im Auftrag des Kreises für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vorbereitet. Letztlich wurde die Unterkunft nicht gebraucht. Aber das damalige Konzept sei „nicht anders“ als das jetzige gewesen, sagt Baaß im Widerspruch zu Schimpf. Es weiche, „wenn überhaupt, nur insofern vom Konzept 2022 ab, dass die Ausgangssituation verbessert wurde“. Im vergangenen Jahr sei alles reibungslos verlaufen, erklärt der Bürgermeister. „Und jetzt gab es plötzlich Probleme.“ In der Stadtverwaltung hat man folglich den Eindruck, die Heppenheimer Behörde lege bei sich selbst andere Maßstäbe an als bei der Kommune. Baaß hätte sich in jedem Fall einen deutlich besseren Austausch mit den Abteilungen des Landratsamts gewünscht, betont er im Gespräch mit dieser Redaktion.
Bis Ende April hatte die Kreisverwaltung die Unterbringung der Flüchtlinge selbst organisiert. Weil sie dies nicht mehr leisten konnte, übertrug sie diese Aufgabe an die 22 Städte und Gemeinden, die seitdem sukzessive Gemeinschaftsunterkünfte schaffen. Anteilsmäßig zur Einwohnerzahl hätte die Stadt ab Mai 33 Geflüchtete pro Monat und somit etwa 260 bis Ende dieses Jahres aufnehmen müssen. Doch davon ist Viernheim weit entfernt, so dass es jetzt besonders gefordert ist.
Nach Einschätzung von Baaß werden die rund 30 Zimmer in dem dreistöckigen Trakt in der Lilienthalstraße „spätestens im Februar“ vergeben sein. Untergebracht werden sollen dort nach Angaben des Bürgermeisters insbesondere Bleibeberechtigte, die aktuell noch in den drei Viernheimer Flüchtlingsunterkünften des Kreises im Rhein-Neckar-Hotel, in der Bunsen- und der Industriestraße leben. Dadurch entstehe in diesen Einrichtungen wieder Platz für neue Asylbewerber.
Direkt im Anschluss an die Belegung der Pfenning-Immobilie stehen Baaß zufolge die Container auf dem früheren Bauhof-Areal für weitere Migranten zur Verfügung. Die Module seien seit langem bestellt, die Fundamente auf dem Grundstück bereits gegossen. Die Stadt rechnet mit Gesamtkosten von 2,8 Millionen Euro für das Projekt.
Noch nicht komplett abgeschlossen sind laut Matthias Baaß die Vorbereitungen für zwei weitere Container-Siedlungen, die – nach aktueller Kalkulation – ebenfalls im kommenden Jahr erforderlich sind. „Zu klären ist noch die Erschließung“, teilt der Viernheimer Verwaltungschef mit. Die genauen Standorte will er daher noch nicht benennen. Durch die Art der Ausschreibung habe die Stadt die Möglichkeit, variabel auf zusätzliche Wohneinheiten zugreifen zu können, sagt Bürgermeister Baaß. Somit könne sie gezielt auf den Bedarf reagieren.
Kreisbeigeordneter dankt Städten
Ungeachtet des zwischenzeitlichen Konflikts mit Viernheim würdigt Dezernent Schimpf das Engagement in den Städten und Gemeinden. Die Unterbringung der Menschen aus fernen Ländern und die damit verbundene Integration stelle eine enorme Herausforderung dar. „Dafür möchte ich den Kommunen Danke sagen“, so Schimpf. An die höheren politischen Ebenen richtet er einmal mehr den Appell, die Zuweisungspraxis grundsätzlich zu ändern. „Wir brauchen geringere Kapazitäten“, aufgenommen werden sollten lediglich „Personen, die eine Bleibeperspektive haben“. Ungeachtet dessen glaubt Matthias Schimpf, dass sich 2024 wieder viele Menschen auf den Weg nach Europa machen und damit auch die Kommunen des Kreises weiterhin mit einer hohen Zuweisung an Geflüchteten rechnen müssen. Langfristig muss die Migrationsfrage aus seiner Sicht „städtebaulich gelöst werden“. Es gelte, die Regeln für die Umnutzung von Gewerbeflächen zu vereinfachen und neue Flächen für Wohnbebauung auszuweisen.
Der Kreis Bergstraße habe in den vergangenen 24 Monaten knapp 7000 Migranten aufgenommen, sagt Schimpf. „Das ist die Größenordnung einer Kleinstadt.“ Einen Großteil dieser Menschen in reguläre Wohnverhältnisse zu bringen, ist nach Meinung des Grünen-Politikers durch eine Innenentwicklung der Städte allein nicht möglich. Diese Auffassung vertrete er auch gegenüber seiner eigenen Partei, die – zumindest in Teilen – genau diesen Weg propagiert. Der hauptamtliche Kreisbeigeordnete sieht die Zuwanderung als Daueraufgabe für die kommenden Jahre. Sein Credo: „Integration ist irgendwann auch selbstbestimmtes Wohnen.“
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