Gedenken - Feier für die Opfer der Novemberpogrome

Erinnerung an jüdische Mitbürger

Von 
Frank Kostelnik
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Peter Bilhöfer sprach über die Schicksale Viernheimer Juden. © Bernhard Kreutzer

Viernheim. „Ich erschaudere immer wieder aufs Neue, wenn ich über die Ereignisse am 10. November 1938 in der Hügelstraße lese.“ Mit diesen Worten leitete Bürgermeister Matthias Baaß die städtische Gedenkfeier zur „Reichspogromnacht“ auf dem Satonévri-Platz vor der Stadtbibliothek ein. Nachdem im letzten Jahr Corona-bedingt die Gedenkfeier ganz ausfallen musste, hatte sich die Stadt für diesen 9. November entschlossen, das Gedenken im Freien in unmittelbarer Nähe zum Mahnmal an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten abzuhalten.

Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Stanislav Novitsky, Klavierlehrer der Städtischen Musikschule, und den Geigenschülerinnen Luisa und Sophia Kramer.

Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden des jüdischen Religions- und Kulturvereins „Schalom“, Mykhaylo Kotlyarsky, sprach der Historiker Dr. Peter Bilhöfer über die Schicksale der jüdischen Mitbürger Viernheims im Zuge der systematischen Judenverfolgung. Sein Vortrag trug den Titel: „Viernheim, 10. November 1938: Ereignisse und Einzelschicksale.“ Neuere Forschungen haben demnach ergeben, dass zum Zeitpunkt der Pogrome 141 jüdische Bürger in Viernheim lebten und vom Nazi-Terror betroffen waren. In der Hügelstraße wurde die 111 Jahre alte Synagoge – quasi unter Aufsicht der Feuerwehr die den Befehl hatte, nur Nachbarhäuser zu schützen – abgebrannt. Die in der dazugehörigen Wohnung wohnende Familie Loew zerrte man auf die Straße.

Ereignisse reichen in Gegenwart

Durch Entschädigungsprozesse ist das Schicksal von David Sternheimer sehr gut bekannt. Er wurde 1883 in Viernheim geboren, zog aber im Jahr 1909 mit seiner Familie nach Mannheim, die dort ein gut gehendes Geschäft für Haushaltsgeräte eröffnete. Schon im September 1938 wurden sie unter fadenscheinigen Gründen enteignet. Im November 1938 wurde er nach Dachau verschleppt. Nach seiner Freilassung konnte die Familie nach Los Angeles entkommen. Durch den Aufenthalt im KZ schwer angeschlagen starb er dort im Januar 1957. Nachdem das „Gesetz zur Wiedergutmachung“ verabschiedet war, stellte die Familie einen entsprechenden Antrag. Aber weder er noch seinen Frau Gretchen erlebten das Ende des Prozesse. Erst am 31. Dezember 1980 konnte die Akte geschlossen werden.

Peter Bilhöfer nahm dies als Beispiel, wie die Ereignisse des November 1938 bis in die Gegenwart reichen, so dass die Forderung, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, unsinnig sei. Er habe es sich inzwischen abgewöhnt, darüber zu diskutieren. Stattdessen zitiert er lieber einen Satz des Gießener Geschichtsdidaktikers Klaus Bergmann: „Erinnerung ist ein menschliches Grundbedürfnis.“

Freier Autor Geboren 1959 in Mannheim. Abitur 1978 ebenda. Lebt seit 1988 in Viernheim. Seit November 2013 freier Mitarbeiter des Südhessen Morgen

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