Ein Exkurs nach Wien

Viernheim. Das war mehr als nur Kaffeesatzleserei: Die zweite Station des Leseprogramms "Literatour" machte Station im Café Rall, wo Stefan Ackermann den Zuhörern süße Häppchen servierte, die regelrecht auf der Zunge dahin schmolzen. In Wien galt für Alfred Polgar das Kaffeehaus als "Provinznest im Schoß der Großstadt". In der Kleinstadt Viernheim kann ein Café sehr wohl auch ein Treffpunkt mit ständigem Kommen und Gehen sein. Dort begrüßte Kompass-Umweltberaterin Anita Heckmann-Schradi alle Literaturfreunde in der "kulturellen Institution" und dem "erweiterten Wohnzimmer", ehe Stefan Ackermann mit dem pointierten Aufruf Peter Altenbergs "Ins Kaffeehaus" das Abendprogramm eröffnete.

Genau in diese Welt der Wiener Moderne entführte der Literaturexperte seine Zuhörer auf humorvolle Art und Weise, als er "Die überspannte Person" von Arthur Schnitzler, einer Liebesaffäre mit dramatischem Ausgang, vorlas. Neben flüchtigen Notizen und Feuilletons enthält die Kaffeehausliteratur eine Fülle von Aphorismen.

Sprachlich präzise Wortspiele

Karl Kraus' reizvoller Sinnspruch "Den Inhalt einer Frau erfasst man bald. Aber bis man zur Oberfläche vordringt", brachte alle Gäste zum Schmunzeln. Sprachlich präzise Wortspiele, detaillierte und ebenso humorvolle Beschreibungen sind Gegenstand der Literaturperiode um 1890 bis 1938, die zwar nicht in Wien entstand, dort aber zu ihrer Blüte gelangte. Die Frage nach einer Adresse beantwortete man mit dem Namen seines Stamm-Cafés. Hans Weigel beschreibt das Treffen im Kaffeehaus neckisch als "gelebte Demokratie": "Die Nieten reden, die Genies hören zu".

Nach einer Stunde humorvollem Leseprogramm forderten die Zuhörer von Stefan Ackermann noch eine Zugabe. "Es ist jetzt egal, wo ich das Buch aufschlage, es finden sich immer unterhaltsame Kurztexte", so der Literaturexperte. Im September wird es sportlich. Dann liest Ackermann im Sportfachgeschäft Brandmüller Auszüge aus Siegfried Lenz' Roman "Brot und Spiele". bm