Verkehr

Denk neu – denk Rad? Denkste!

Kritischer Leser nimmt städtische Kampagne aufs Korn. Verwaltung antwortet

Von 
Martin Schulte
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Viernheim. Martin S. Gehrling (64) ist Vielradler. Er ist fast ausschließlich mit dem Fahrrad in seiner Heimatstadt unterwegs. Gehrling hat uns einen Leserbrief geschickt – eine spitze Glosse zum Zustand der Radwege in Viernheim. Die städtische Plakatkampagne „Denk neu! Denk Rad!“ hat ihn inspiriert – und er kommt zu dem Schluss: „Denkste!“ Wir, ebenfalls Vielradler, treffen uns zu einem Austausch mit ihm. Und bitten die Stadt um eine Stellungnahme.

„Dieses Schild an der Friedrich-Ebert-Straße triggert mich. Das klingt wie eine gute Idee, ja, eine Inspiration. So wird Zukunft gestaltet. So wird Verkehrswende gemacht. Da möchte ich doch gleich loslegen mit dem Denken, nein, mit dem Radeln.“ Damit leitet Gehrling seine Glosse ein. Was folgt, ist die ironisch-zynische Schilderung seiner Odyssee über Viernheimer Radwege – und Nicht-Radwege, oder solche, die der Bezeichnung nicht gerecht werden.

Gehrling ist mit dem Rad zum Treffen in der Townhall gekommen. Bei Regenwetter. Er scheint, sieht man über das Augenzwinkernde in seiner Zuschrift hinweg, schon einigermaßen sauer zu sein.

„Bis vor wenigen Jahren habe ich mich auf niedrigem Niveau geärgert“, sagt er. Aber seit dieser Denk-Rad-Kampagne bin ich richtig verärgert.“ Will sagen? Die Kampagne gaukle vor, Viernheim sei eine Fahrradstadt. „Aber durch ein paar Plakate und Appelle allein ist aus Viernheim noch lange keine Fahrradstadt geworden. Da liegt vieles im Argen.“

Der Verfasser der Glosse unterstellt der Stadt, Lippenbekenntnisse zu postulieren, statt Taten folgen zu lassen. Und er meint, bei den Verantwortlichen in der Verwaltung eine gewisse Gleichgültigkeit zu erkennen. Eben weil sich nichts oder kaum etwas bewege.

Die Redaktion hatte zuletzt zusammen mit dem ADFC eine Radtour zu (zahlreichen) neuralgischen Punkten unternommen. Erster Stadtrat und Baudezernent Jörg Scheidel hatte, damit konfrontiert, gesagt, die Städte seien über Jahrzehnte für Autos gebaut worden. Man könne sie nicht einfach umkrempeln.

Das sieht auch Martin S. Gehrling so. „Trotzdem könnte mit mehr Fantasie und Kreativität einiges verbessert werden. Zum Beispiel könnten an den großen Baustellen statt der Schilder ,Radfahrer absteigen’ etwas mehr Platz gelassen werden für Radfahrer.“ Dass der Radweg aus Sand entlang der Friedrich-Ebert-Straße überhaupt als solcher bezeichnet werde, sei schon ein tolles Stück. „Wer hier bei Regen fährt, ist versaut von oben bis unten.“ Warum das nicht in Ordnung gebracht werde, frage er sich. Das Foto oben rechts gibt ihm uneingeschränkt recht.

Stadtrat zählt Maßnahmen auf

An dieser und an anderen Stellen sei man gezwungen, auf die Straße zu wechseln, wo oft Autos gefährlich nah und schnell an einem vorbeiführen. Am schlimmsten findet Gehrling ohnehin die Friedrich-Ebert-Straße. Gerade auch wegen des (dauer-) provisorischen Kreisels an der Kreuzung Wiesenstraße. Auf den viel zu engen Zufahrten sei Radfahren unheimlich gefährlich. Seine Glosse ist gespickt mit weiteren Beispielen: „Da kommt gleich die Zwingenberger Straße. Aber davor ist ein schlimmes Holperfeld – da schlägt’s mir die Kette ’runter.“

Stadtrat Scheidel antwortet auf die Kritik unseres Lesers, es seien Maßnahmen in der Planung oder Ausführung: etwa der Kreisel Saarlandstraße/Kreuzstraße; die Erneuerung der Saarlandstraße; die Radschnellverbindung Mannheim-Viernheim-Weinheim; der Umbau des Knotenpunkts Friedrich-Ebert-Straße/Wiesenstraße, der Radweg an der Friedrich-Ebert-Straße zwischen Wiesenstraße und L 3111. Und zwei weitere Fahrradservice-Stationen am Vogelpark und im Familiensportpark West ab April 2023.

Scheidel weiter: „Die Stadtverordnetenversammlung hat im Jahr 2020 ein Radverkehrskonzept mit verschiedenen Maßnahmen beschlossen. Teilweise sind diese Maßnahmen schon ausgeführt, andere stehen noch auf der To-do-Liste.“ Die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen sei auch von den finanziellen Mitteln abhängig, die durch das Stadtparlament im Haushaltsplan bereitgestellt werden.

Bei überregionalen Maßnahmen wie den Radwegen an der L 3111 nach Hüttenfeld und Muckensturm sei die Stadt auch von anderen Partnern wie Hessen Mobil abhängig. „Bei der Umsetzung des Radverkehrskonzepts möchten wir gerne schneller sein, weswegen die Verwaltung eine zusätzliche Stelle der Verkehrsplanung in 2023 besetzen möchte“, so Jörg Scheidel.

Redaktion Reporter.

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