Viernheim. Wie definiert man den Begriff der Bürgerbeteiligung? Dafür gibt es keine offizielle Definition. Doch es gibt Beispiele von Bürgerbeteiligung. Der Soziologe Hon.-Prof. Dr. Uwe Pfenning führte solche unter dem Titel „Bürgerbeteiligung ja, aber richtig machen“ vor – und kritisierte die Stadtverwaltung Viernheim: „Reine Informationsveranstaltungen sind noch keine Bürgerbeteiligung.“ Auf der Veranstaltung des „Bürgernetzwerkes Viernheim“ gab er Impulse für eine Bürgerbeteiligung.
Die Diskussion wurde jedoch durch das Thema der neuen Parkplatzregelungen abseits der Gehwege beherrscht. Ein Besucher sagte: „Die Suche nach einem Parkplatz ist für ältere Menschen jeden Tag ein Problem. Manche müssen jetzt mehrere hundert Meter vom Parkplatz bis zu ihrer Wohnung laufen.“ Wolfram Theymann vom Netzwerk versprach: „Wir machen dazu eine eigene Veranstaltung.“
Braucht eine repräsentative Demokratie eine außerparlamentarische Bürgerbeteiligung? Der Referent spielte die berühmte Rede des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt vom 28. Oktober 1969 zum Wandel der Demokratie ein: „Demokratische Ordnung braucht Geduld im Zuhören und Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen. Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Beispiele für Bürgerbeteiligung waren die Friedensbewegung, die Umwelt- und Naturschutzbewegung, die Frauenbewegung und die Bewegung zur Wahrung des Asylrechts. So sind unter anderem die Partei der Grünen und die Jugendbewegung „Fridays for Future“ entstanden.
In der offiziellen Viernheimer Geschichte fehlt bürgerliches Engagement
Wer in der Viernheimer Geschichte und in Archiven nach Bürgerbeteiligung sucht, findet wenig. Referent Pfenning sagte: „Es gibt Beispiele, aber sie wurden nicht in die Geschichte aufgenommen.“ Als in den 1970er Jahren das Gelände für die amerikanische Armee, der „Panzerwald“, ausgeweitet werden sollte, protestierten Bürger erfolgreich gegen dieses Vorhaben. Pfenning sagte: „Dieses Engagement fehlt in der offiziellen Viernheimer Geschichte.“
Ebenfalls in den 1970er Jahren hatten sich Jugendliche für ein Jugendzentrum in Selbstverwaltung in Viernheim eingesetzt. Zeitweise mit Erfolg. Weiteres Beispiel war die Beteiligung der Bürger vor 20 Jahren zur Sanierung des Waldschwimmbads. Pfenning: „Die Parteien, namentlich CDU und Grüne Viernheim, haben sich erstmals geöffnet und stimmten gemeinsam für ein Bürgergutachten.“ Heute gibt es die Initiative „Viernheimer Appell – Demokratie schützen durch Vielfalt, Menschenwürde und Zusammenhalt“.
Zur AfD erläuterte der Referent, dass sie als rechtskonservative Bürgerpartei enstanden sei und sich zur rechtsextreme Positionen vertretenden Partei gewandelt habe. Er sagte: „Anlass dafür sind auch Versäumnisse der etablierten Parteien, sich mit einer Bürgerbeteiligung deren Themen zu widmen.“ Er kritisierte die Inhalte der AfD mit Verschwörungstheorien und faschistoiden Weltbildern. Er mahnte: „Ich schließe die AfD vom freien Austausch der Meinungen nicht aus. Wir müssen uns miteinander aktiv auseinandersetzen.“
Der Austausch von Argumenten kann zu ungeahnten Ergebnissen führen
Was ist wichtig für die Bürgerbeteiligung? Der Referent richtete sich nach der Rede von Willy Brandt: Zuhören und Verständnis. Für eine Bürgerbeteiligung braucht es Informationen von Experten zu strittigen Themen. Es braucht Möglichkeiten, dass Kleingruppen Ideen austauschen. Die Kleingruppen stellen ihre Ergebnisse öffentlich zur Diskussion, bis eine Lösung gefunden ist.
Ein Beispiel ist ein Projekt der Bürgerbeteiligung in Rottweil am Neckar zur lokalen Energieversorgung. Eine Gruppe entwickelte bei zwölf Treffen ein Konzept für ein neues Blockheizkraftwerk. Die Gruppe besuchte mehrere Kraftwerke, um sich über Technologien zu informieren. Schließlich wurde ein Biogaskraftwerk empfohlen, das die Landwirte einbezog und eine lokale Energieautarkie gewährleistete. Bei einer öffentlichen Veranstaltung meldeten sich Jäger zu Wort. Pfenning: „Niemand hatte daran gedacht, dass mit dem Anbau von Mais und anderen Nutzpflanzen Wildschweine angelockt werden.“ Infolge der Einwände der Jäger wurde das Konzept angepasst. Später wurden die Ideen von den Stadtwerken umgesetzt.
Die Vorteile einer Bürgerbeteiligung: Bürger, die sich nicht in Parteien engagieren wollen, können sich einbringen. Es kann einen Austausch von Argumenten geben, mit Ergebnissen, die keiner zuvor geahnt hatte. So wurde zum Beispiel – auch in Rottweil – ein „hässlicher Turm“ in ein Kunstwerk mit Restaurant verwandelt.
Kritik an pädagogischen Ansätzen: Oft nur eigene Interessen im Blick
Der Referent kritisierte einige pädagogische Ansätze von Bürgerbeteiligung. Zwar würden junge Menschen ermutigt, sich zu engagieren. Doch sie engagierten sich oft nur für ihre eigenen Interessen und setzen sie dank pädagogischer Anleitung durch. Der Referent: „Bürgerbeteiligung bedeutet, dass man die Gemeinschaft und nicht nur die eigenen Interessen im Blick hat.“
Speziell für Viernheim wurde mehrfach kritisiert, dass Planungsbüros die öffentlichen Info-Veranstaltungen moderieren. In der Diskussion wurde auch kritisiert: Wer sich als Bürger dort zu alternativen Möglichkeiten melde, sei schon lächerlich gemacht worden. Pfenning sagte: „Dabei ist Kreativität eine Quelle neuer Denk- und Planungsansätze.“ Theymann fragte nach Ideen für eine Bürgerbeteiligung: Es wurden unter anderem Heizung, Solarausbau, das fehlende Miteinander der Nationalitäten und die Vereinsamung genannt.
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