Viernheim. Petra Thomas wirkt auf den ersten Blick in keiner Weise eingeschränkt. Dabei hat sie eine ganze Arzt-Odyssee hinter sich und ein gesundheitliches Päckchen zu tragen. Mitleid will die 57-Jährige nicht – nur ein ganz normales Leben führen. Sie nimmt teil an dem „Zuverdienstprojekt Bergstraße“, das von Jörg Wieandt geleitet wird und in ganz Hessen einzigartig ist.
Das Projekt setzt die Schwelle für Arbeitnehmer mit psychischen Erkrankungen und für Arbeitgeber, die diesen Menschen eine Chance geben, bewusst niedrig. Petra Thomas ist derzeit im Status einer Praktikantin im Pfarrbüro Johannes XXIII. beschäftigt und dort zweimal die Woche für je drei Stunden. „Ich arbeite richtig mit, habe eigene Bereiche und viel zu tun“, berichtet sie zufrieden. So gestaltet sie die Gottesdienstordnung, legt sie in den Kirchen aus und schreibt beispielsweise Taufurkunden. „Ich bin sehr sorgfältig, aber nicht mehr so zwanghaft“, findet Petra Thomas.
An verschiedenen psychischen Erkrankungen leidet die Viernheimerin seit ihrer frühen Jugend. „Das war schon heftig“, fasst sie zusammen. Sie war als junge Frau berufstätig: erst als Arzthelferin und nach einer Umschulung als Bürokauffrau. Mit ihrer Erkrankung konnte niemand umgehen: „Da kommen von Außenstehenden dann so Tipps wie ,Reiß Dich mal zusammen’“.
Hilfenetz brach erst zusammen
Ihre Mutter hatte ihr zu dieser Zeit vieles abgenommen. Nach dem Tod ihres Vaters und später ihrer Mutter sei der Zusammenbruch gekommen. In die Erwerbsunfähigkeitsrente wurde Petra Thomas nach mehreren Klinikaufenthalten und einer Reha im Januar 2001 entlassen. Seither war sie bei der Caritas in einer Betreuung: In ihrer Wohnung wurde sie zweimal die Woche von einem Sozialarbeiter besucht.
Petra Thomas verbrachte außerdem viel Zeit in der Tagesstätte der Caritas, wo sie auch in Kontakt mit Jörg Wieandt kam, der sie schließlich in das Zuverdienstprojekt vermittelte. „Das hat mir alles sehr viel gebracht, es wäre ohne die Betreuung alles nicht gegangen“, schaut Thomas dankbar auf das enggeknüpfte Hilfenetz durch die Caritas zurück. Abgesehen von der Tagesstruktur habe sie sich auch dort nützlich machen können und viel positives Feedback bekommen. Sie wollte dann die nächste Stufe erklimmen und „wieder etwas leisten“.
Nach 18 Jahren, die sie nicht mehr berufstätig war, war es ein großer Schritt, sich beim Pfarrbüro zu bewerben. „Ganztags zu arbeiten würde ich mir nicht mehr zutrauen“, betont Petra Thomas, „aber einen Minijob sehr wohl.“ Für Wieandt ist es auch nicht einfach, die Interessenten zu vermitteln, denn die Bereitschaft bei den Betrieben in Viernheim sei „nicht so doll“, wie er erzählt. Er habe unzählige „Klinken geputzt“. Pfarrer Ronald Givens sei sehr offen für das Thema gewesen.
Dabei sei das Risiko für die Arbeitgeber denkbar gering: Sie zahlen pro Stunde eine sogenannte Motivationszuwendung von 2,50 Euro. Die Unfallversicherung und eventuell anfallende Fahrtkosten trägt die Caritas, finanziert vom Kreis.
„Das Ziel des Projekts ist auch nicht, Geld zu verdienen“, betont Wieandt, „sondern Wertschätzung, Teilhabe am Arbeitsleben und das Gefühl, gebraucht zu werden.“ Petra Thomas und andere Klienten sollten während des Projekts so stabil werden, dass sie in einen 450-Euro-Job vermittelt werden könnten. „Es tut so gut, zu hören ,Schön, dass Sie da sind’ und helfen zu können“, sagt Petra Thomas.
Wenn sie fest übernommen würde oder woanders in einem regulären Beschäftigungsverhältnis arbeiten könnte, würde ihr größter Wunsch in Erfüllung gehen. Während der Projektlaufzeit von einem halben Jahr hat sie alle 14 Tage ein Gespräch mit Wieandt. „Mir macht das auch riesig Spaß“, fasst der Diplom-Pädagoge zusammen.
Projekt von Caritas und Kreis
Das „Zuverdienstprojekt Bergstraße“ wurde vom Kreis im Oktober 2018 ins Leben gerufen.
Die Erstbewilligung umfasst einen Zeitraum von sechs Monaten.
Jörg Wieandt ist Projektleiter bei der Caritas. Er berät und unterstützt beide Seiten.
Wieandt sucht noch weitere Firmen und Institutionen, die bereit sind, einen solchen „Praktikanten“ aufzunehmen. Er ist erreichbar unter Telefon 06204/92 96 4-12 oder -10 und per E-Mail an die Adresse j.wieandt@caritas-bergstrasse.de.
Betroffene müssen in Hessen gemeldet sein, Erwerbsminderungsrente beziehen und dürfen keine Anbindung zum Jobcenter haben.
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