Menschen in Viernheim - Äthiopier Kibreab Habte Michael hilft Flüchtlingen bei Alltagsfragen / Mit Ehrenamtspreis ausgezeichnet

Als Übersetzer rund um die Uhr im Einsatz

Von 
Kathrin Miedniak
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Kibreab Habte Michael ist aus Äthiopien geflohen - und hat in Viernheim eine neue Heimat gefunden.

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Viernheim. Das Handy klingelt. Ein Flüchtling muss ins Krankenhaus und braucht einen Dolmetscher. Kaum hat Kibreab Habte Michael aufgelegt, vibriert das kleine Telefon schon wieder. Dieses Mal ist eine Mitarbeiterin des Mannheimer Standesamtes dran. Für ein Flüchtlingsbaby muss eine Geburtsurkunde erstellt werden. "Vielen Dank! Tschüss", sagt der 30-jährige Äthiopier in den Hörer. Auf Deutsch. Obwohl er selbst erst seit zehn Monaten in Viernheim lebt, beherrscht er die Sprache schon gut - und hilft anderen Flüchtlingen, wo er nur kann.

"Ich weiß gar nicht, wie das kam", sagt er und lächelt verlegen. Anfangs habe er hauptsächlich anderen Asylsuchenden als Übersetzer geholfen. Kibreab Habte Michael, der von allen "Kebi" gerufen wird, stammt aus dem Norden Äthiopiens. Dort werden zwei Sprachen gesprochen: Amharisch, die Sprache Äthiopiens, und Tigrinia, die Sprache des benachbarten Eritreas. Außerdem spricht Kebi hervorragend Englisch. "Das war meine Berufssprache", erklärt er. In Adis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, arbeitete der 30-Jährige als Dozent für Geopolitik an einer Universität.

"Die Wissenschaft war mein Leben", erzählt Kebi. Er habe viel Forschung betrieben, einige Bücher verfasst, Studenten unterrichtet und dabei immer wieder die Regierung Äthiopiens kritisiert. "Ich finde, gerade als Akademiker muss man seine Prinzipien offen vertreten", erklärt er. Doch für ihn sei das Leben in Adis Abeba dadurch zunehmend gefährlicher geworden.

Immer leiser wird Kebis Stimme, als er von früher erzählt, bis er schließlich ganz verstummt. Schweigend rührt er seinen Kaffee um. Dann schaut er lächelnd wieder auf, zurück im Hier und Jetzt. Im Dezember vergangenen Jahres bezog der Äthiopier ein Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft in der Bunsenstraße und fing an zu dolmetschen: zwischen Äthiopiern, Eritreern und Pakistani genauso wie zwischen Vertretern der Stadt oder des Kreises und den Flüchtlingen. "Es wurde immer mehr", erzählt Kebi. Mittlerweile klingelt sein Telefon von morgens bis abends im Fünf-Minuten-Takt.

Neue Familie gefunden

Wenn der Äthiopier nicht sofort ans Telefon gehen kann, weil er gerade im Deutschkurs sitzt, ruft er zurück. "Das muss ich machen", sagt er schlicht und zuckt mit den Schultern. Ganz langsam sei dieses Gefühl gewachsen. "Je mehr man hilft, um so mehr fühlt man sich verantwortlich", erklärt Kebi. Vor allem bei Alltagsproblemen ist er zur Stelle, organisiert Fahrräder, zeigt den Weg zur Schule, übersetzt beim Arztbesuch. Anfangs musste er dazu erst einmal selbst herausfinden, wie man zum Krankenhaus oder Supermarkt kommt. Mit einer Karte in der Hand irrte er durch die Stadt. "Jetzt kenne ich in Viernheim viele Orte und viele Leute", sagt er und lacht.

Alle Fragen, die er nicht selbst beantworten kann, leitet er an Herbert Kohl, Gemeindereferent von St. Michael, oder an die beiden St. HiMi-Pfarrer Angelo Stipinovich und Ignatius Löckemann weiter. Umgekehrt wenden sich die drei stets an Kebi, wenn es um Flüchtlingsbelange geht. "Ich bin so dankbar für das, was die Gemeinde für uns tut", sagt der Äthiopier und kämpft ausnahmsweise sogar auf Englisch um die richtigen Worte.

Die Gemeinde habe den Flüchtlingen ein warmes Willkommen bereitet, betont er. "Es ist wie eine Familie." Seinen 30. Geburtstag zum Beispiel feierte Kebi in Viernheim, Tausende Kilometer von seinen Eltern entfernt und doch umgeben von einer Familie. "Alle haben mit mir gefeiert, Freunde, Gemeindemitglieder - es war unglaublich." Dass er von seiner neuen St. HiMi-Familie den Ehrenamtspreis für sein Engagement bekommen hat, macht ihn umso stolzer. "Ich fühle mich sehr geehrt", sagt er und strahlt glücklich. Für Kebi ist die Auszeichnung vor allem ein Antrieb. "Das motiviert mich, weiterzumachen." Dabei braucht der 30-Jährige eigentlich gar keinen Schubs. "Ich bin ein Mensch, der immer nach vorn sieht", sagt er. Am wichtigsten ist ihm, flüssig Deutsch sprechen zu lernen. Nach zehn Monaten Übung fehlt dazu nicht mehr viel. Ein Gespräch mit einer Standesbeamtin? Kein Problem. Eine Bestellung im Café aufgeben? Ein Leichtes.

Eine eigene Wohnung hat Kebi schon im Frühjahr bezogen, im Juli hielt er eine Geopolitik-Vorlesung an der Universität Darmstadt, eine weitere ist in Planung. "Ich möchte in Viernheim bleiben und ich möchte arbeiten", sagt der Wissenschaftler. "So kann ich Deutschland etwas zurückgeben."

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