Als Manfred Brandmüller und Helmut Neumann vor zehn Jahren ihr erstes gemeinsames Konzert veranstalten, können sie noch nicht ahnen, was sie damit in Südhessen und der Metropolregion Rhein-Neckar auslösen. Denn so anerkennenswert der erste Erfolg mit „Les Primitifs“ im Jahr 2012 auch war: Ein Bündnis wie Chaiselongue, das Kultur und Soziales miteinander in Einklang bringt, hatte es in der Region zuvor einfach noch nicht gegeben.
Der Ansatz des Vorstands-Duos, das in der Folge ein ganzes ehrenamtliches Team um sich versammelt, war dabei so mutig wie innovativ. Denn einerseits gestalten sie den wunderschönen Saal im etablierten Viernheimer Treff im Bahnhof zu einem Forum, in dem Kabarett und Comedy ebenso ihren Ort finden wie Puppenspiel und Musik. Andererseits verfolgen sie jedoch auch den Anspruch, mit ihren Künstlern aktiv in die Gesellschaft hinein zu wirken. Mit kostenfreien Aufführungen in der Viernheimer Fröbel-Schule. Mit der Verteilung von Gratis-Tickets für sozial Schwächere. Durch die ganz konkrete finanzielle Unterstützung von Hilfsorganisationen aus oder für Südhessen.
Kraft des Unkonventionellen
Wer Brandmüller und Neumann auf die Erfolge ihres Handelns anspricht, hört Sätze der Bescheidenheit wie diesen: „Unser Wunsch war, ein kulturelles Angebot zu schaffen - das ist uns gelungen.“ Tatsächlich ist den Organisatoren, die seit Jahren mit Herz und Engagement ihre Energie in die Erstellung eines hochwertigen Programms stecken, jedoch sehr viel mehr gelungen, als das. Zum einen, weil allein im Café vor dem Konzertsaal und im direkten Kontakt mit den Künstlern Bindungskräfte entstehen, auf die man bei klassischen Kulturhäusern oft vergebens wartet. Zum anderen, weil sich die Liste all jener, die hier, in Viernheim, bereits aufgetreten sind, wie ein Who is Who der Szene liest. Musiker wie Joscho Stephan und Michael Fix sind bei Chaiselongue ebenso schon auf die Bühne getreten wie die Theater-Komödianten Ulan & Bator. Wer sich in der Branche bei Veranstaltern und Künstlern über die Kulturmacher aus Südhessen erkundigt, hört vieles - und vor allem: viel Gutes.
Es sind genau diese Werte, die auch und gerade beim zehnjährigen Jubiläum der Organisation wieder sichtbar werden. Auf drei Tage hin angelegt, feiern sich die Gitarrentage wie ein akustisches Festmahl der Saitenkunst. Schon der Auftakt mit dem Gregor Hilden Organ Trio setzt hier ein Ausrufezeichen der ganz besonderen Art. Vor dicht besetzten Reihen etabliert sich ein melodisches Netz, das sensibel, aber auch kraftvoll und entschlossen zwischen Blues, Jazz und Funk vermittelt. Da mögen die Gitarrentage sonst gemeinhin für die Fragilität akustischer Finessen bekannt sein: Diese elektrifizierten Klänge hallen nach - und reichen weiter.
Was sich ohne Zweifel auch über den zweiten Abend sagen lässt, der auf außergewöhnliche Stimmen und die Kraft des Unkonventionellen setzt. Zunächst ist es der Ire Shane Hennessy, der das Publikum mit seiner tief humorvollen Art, aber vor allem einer menschlichen Wärme verzückt, die jeder ausmusizierten Folk-Geschichte ihren ganz eigenen, authentischen Anstrich verleiht. Über Stilgrenzen hinweg, verheiraten sich perkussive Elemente mit klaren, reinen Akkorden zu einem Fest gespielter Schönheit. Es ist ein Abend, dem nur noch der Fingerstyle-Alleskönner Shane Rafferty fehlt, um zu seiner Vollendung zu finden. Mit Rap und Straßenmusik hat er sich über Youtube-Videos seine eigene Karriere erkämpft, in Viernheim dominiert er als Künstler, der es an Entschlossenheit und inhaltlicher Tiefe niemals fehlen lässt. Es sind Stunden, nach denen die Veranstalter Gäste und Künstler irgendwann sogar nach draußen bitten müssen: Die Schließzeit rief zur Ordnung. Doch genau so sind sie, die Abende bei Chaiselongue: nah, intensiv und manchmal sogar so ansteckend schön, dass man sich wünschen würde, sie fänden gar kein Ende mehr.
Nur eine Nacht später steht zum Abschluss dann schließlich Sophie Chassée auf der Bühne. Mit ihren zarten Händen zaubert die junge Virtuosin einen Sound in den Raum, der von der Schönheit des Lebens erzählt, aber auch eine melancholische Note nicht verbirgt. Chassées Finger trommeln und kratzen, sie greifen und springen, während noch immer staunende Zuhörer begeistert sind von der Stimme dieser imponierenden Interpretin, die für so viel mehr steht, als ihre Musik allein. Denn wenn die Chaiselongue-Köpfe Neumann und Brandmüller im Gespräch betonen, man habe die eigenen Künstler schon immer divers gebucht, könnte das Aufgebot dieser Gitarrentage dafür nun wahrlich ein besserer Beleg nicht sein.
Sehnsüchte gibt es für die beiden Vorsitzenden auch nach zehn Jahren noch. Denn Weltstars wie Tommy Emmanuel konnte man unter anderem bisher deshalb nicht verpflichten, weil die langen Vorlaufzeiten in der Raumbuchung mit der Stadt einem spontanen Handeln oft im Weg standen. Allein: Die Pläne für das Jahr nach dem Jubiläum sind schon erstaunlich konkret - und setzen dabei auch auf Überraschendes. Wie etwa das anstehende Konzert des Pulsar Trios am 28. Januar in der Kulturscheune. Dem Titel „Nachtmodus“ werden die Musiker dann alle Ehre machen, denn das Konzert will nicht nur akustisch Eindruck machen, sondern auch visuell - bei völliger Dunkelheit. Was den schönen Rückschluss erlaubt, dass Chaiselongue auch nach dem vollen Jahrzehnt vor allem eines bleibt: unkonventionell unersetzlich.
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