Der Branich-Tunnel, der in einer Woche eröffnet wird, führt nicht nur zur Veränderung der Verkehrsströme in der Region. Er verändert auch das Erscheinungsbild der Landschaft. Zu Beginn der kleinen Artikelserie über die Vorgeschichte des Bauwerkes zeigen wir heute auf, wie es früher um das Ostportal aussah.
Die "Breitwiese" hat eine interessante Geschichte, die "MM"-Leser Ludwig Mildenberger bestens kennt. Demnach beantragt im Jahre 1734 der Pulvermacher Dominicus Dreyling aus Heppenheim bei der kurfürstlichen Hofkammer, ihm auf der "Breiten Wiese" im Schriesheimer Tal ein Gelände zur Gründung eines Betriebes, einer Pulvermühle, zur Verfügung zu stellen. Als Gegenleistung soll das Kriegskommissariat des Kurfürsten kostengünstig Pulver für seine Waffen erhalten. Die Hofkammer greift zu.
Im März 1735 werden die Verträge unterzeichnet, im Sommer beginnt auf der Wiese zwischen heutiger Mälzerei Kling und heutigem Hotel Scheid der Bau der Pulvermühle nebst Wohnhaus. Als "Pulvermüller" wird Dreyling in den Folgejahren ein angesehener Bürger.
"Dreyling-Müller" geht pleite
Doch ab 1741 kommt Kritik auf in Bereichen, die uns heute nicht fremd sind: Umweltschutz und Steuern. Man wirft Dreyling vor, die Wiese zu beschädigen, kritisiert seine säumigen Zahlungen des Pachtzinses, beschuldigt ihn sogar, Pulver "schwarz zu verkaufen". Dreyling verstirbt 1751, verbittert und pleite.
Seiner Witwe und den Kindern hinterlässt er ein überschuldetes Unternehmen, das nicht mehr zu halten ist. Noch im gleichen Jahr wird es daher dem Hauptgläubiger zugesprochen, dem Mannheimer Brothändler Balthasar Michel.
Doch Michel kennt sich zwar in Back-, aber nicht in Schießpulver aus. Und so verkauft er den Besitz an den Pulvermacher Conrad Diller aus Rothenburg ob der Tauber. Aber auch diesem bringt er kein Glück: Am 5. Juni 1769 fliegt die Mühle beim Pulvermachen in die Luft und zerstört sie; zwei Menschen sterben.
Als die Produktion aus der zerstörten Mühle ins Wohnhaus verlagert ist, kommt es im selben Jahr auch dort zu einer Explosion. Ein Zentner Pulver, das am Ofen der Stube getrocknet wird, gerät in Brand und lässt in Folge zwei Zentner Salpeter hochgehen. Mehrere Menschen werden verletzt, sechs sterben, darunter der Besitzer selbst, seine Frau und seine Mutter. Die Leiche eines Kindes, das zunächst vermisst ist, wird erst sechs Wochen später bei Aufräumarbeiten gefunden.
Diese Katastrophe - sie bedeutet das endgültige Aus für die Pulverherstellung in Schriesheim. 1771 entscheidet die Hofverwaltung, "den Platz zu applanieren und mit Heublumen zu besäen". Aus Holzplanken wird ein Zaun gezimmert, der die Wiese von der Talstraße trennt.
Mehrere Explosionen
Am 3. Juni 1901 veräußert der Badische Staat, Rechtsnachfolger des Kurfürstentums Pfalz, das Gelände für 800 Reichsmark an die Anlieger - vor allem Landwirte, die es zur Produktion von Heu nutzen. Eine Ecke dient bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg als Schafwiese.
"MM"-Leser Hans Becher hat uns ein Bild zur Verfügung gestellt, das das damalige Aussehen anschaulich dokumentiert. Der Schriesheimer, seit Kindesbeinen an Hobbyfotograf, schießt das Bild im Jahre 1958, der Vegetation nach zu schließen im Spätjahr. "Ich stand damals ungefähr dort, wo sich heute das Ostportal des Tunnels befindet", erinnert sich Becher. Dementsprechend sind im Hintergrund des Bildes die Betriebsgebäude der Firma Kling-Malz zu erkennen.
Im Vordergrund zu sehen ist, wofür diese Wiese damals genutzt wird: für das Weiden der Schafe. Rechts im Bild zu erkennen ist der legendäre Schäfer namens Walter in dem für seinen Berufsstand so charakteristischen schweren dunklen Mantel und einem Hut mit breiter Krempe.
Vor mehreren Jahren erwirbt das Land Baden-Württemberg das Areal - für die neue Verkehrsführung an der Ausfahrt des Branich-Tunnels.
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