Schriesheim. Wie kann man seinen eigenen Geburtstag besser feiern als mit der Präsentation der neuen Folge einer Schriftenreihe, die bei historisch Interessierten in der gesamten Region längst einen guten Ruf genießt und auch diesmal mit interessanten Beiträgen von fünf versierten Autoren zu begeistern vermag? Dirk Hecht jedenfalls sieht es so. Mit berechtigtem Stolz präsentiert der Leiter des Schriesheimer Stadtarchivs an jenem Sonntag im Ratssaal der Weinstadt das vom ihm koordinierte „Schriesheimer Jahrbuch 2024“.
Von der Qualität dieses Werkes zeugt nicht nur die Zahl der bei dessen Präsentation anwesenden Interessierten mit Alt-Bürgermeister Hansjörg Höfer an der Spitze, sondern auch die Tatsache, dass es sich um die 28. Edition in Folge handelt. Einige derer, die seit Anbeginn 1997 mit dabei sind, haben auch diesmal Artikel beigesteuert, so dass Hecht von einem „schwergewichtigen“ Autorenteam sprechen konnte.
Einige der Autoren sind seit dem ersten Band von 1997 mit dabei
Von Anfang an dabei ist Gerhard Merkel, der sich diesmal mit einer Urkunde zur Verpachtung des Korn- und Wein-Zehnten aus dem Jahre 1393 beschäftigt. Was sich auf den ersten Blick für manche nicht besonders spannend anhören mag, ist es aber sehr wohl. „Mittelalterliche Urkunden fixieren ökonomische, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen“, erläutert Hecht: „Damit können sie uns viel über das damalige Leben erzählen.“
Die Leistung Merkels bei der Auswertung dieser Urkunde begann schon mit einer banalen Herausforderung: „Die Schrift lesen zu können, ist bereits die erste Hürde.“ Die nächste folgt bei der Interpretation: „Manche Worte haben damals eine ganz andere Bedeutung als heute.“
Den Bogen vom Mittelalter in die Neuzeit spannt Hecht selbst mit seinem Beitrag über die Geschichte der Strahlenburg. Dabei legt er seinen Schwerpunkt auf etwas Neues und die für viele wohl interessante Periode, nämlich von der Einrichtung des Ausflugslokals 1890 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945.
Hecht konnte dazu erstmals Akten auswerten, die ihm in seinem Amt als Archivar in Edingen-Neckarhausen untergekommen sind, das er ja ebenfalls innehat. Denn der dortige „Ortsherr“, der Graf von Oberndorff, war bis 1933 auch Besitzer der Strahlenburg in Schriesheim – eine wahrlich spannende Story!
Erst recht gilt dies, wenn auch in sehr bedrückendem Sinne, für den Beitrag von Joachim Maier, der mit 74 Seiten der umfangreichste in dieser Edition ist und „fast schon ein eigenes Buch sein könnte“, wie Hecht betont. Seit 20 Jahren beschäftigt sich der emeritierte Theologieprofessor Maier mit dem Schicksal der Schriesheimer Juden, über das er auch ein dickes Buch verfasst hat, sowie mit der Ermordung von Menschen mit Behinderung im Dritten Reich. Bei der Erforschung dieser Opfergruppen in den Archiven stieß er aber auch immer wieder auf Verfolgungen aus politischen Gründen.
„Eine Diktatur braucht, um überleben zu können, Sonderregeln und, um diese durchzusetzen, Sondergerichte“, erläutert Hecht. Und ein solches bestand damals im Mannheimer Schloss, zuständig auch für die Badische Bergstraße. Maier schildert einige der Schicksale von hier. Und so begegnen Kundige in diesem Beitrag manch bekanntem Namen der Region – als Angeklagte wie der Graf Siegmund von Wiser aus Leutershausen oder als mutmaßliche Denunzianten wie der bis heute hochgelobte Ortsmaler Franz Piva. Dieser Artikel wird vor Ort sicherlich für reichlich Diskussionsstoff sorgen.
Der vierte Beitrag befasst sich mit einem Akt der Erinnerungskultur: der Benennung zweier Plätze nach dem ersten badischen Staatspräsidenten nach 1918, Anton Geiß, der zuletzt in Schriesheim lebte und hier auch gestorben und begraben ist, sowie nach Georg Rufer, Bürgermeister ab 1920 bis zu seiner Absetzung durch die Nazis 1933 und dann wieder nach der Befreiung 1945.
Den nicht einfachen Weg zu diesen Würdigungen sowie die Verdienste der Namenspaten erläutert „MM“-Redakteur Konstantin Groß. „Er vereint profundes historisches Wissen mit der eingängigen Sprache eines Journalisten“, lobt Hecht: „Bei seiner Schilderung der beiden Einweihungszeremonien hat man als Leser das Gefühl, mit dabei zu sein.“
Hecht selber macht sich verdient um stärkeres Bewusstsein für ein kleines, aber feines Denkmal, das vor Ort fast vergessen ist: den Ludwigsstein an der Schotterersbrücke, gestiftet 1824 von einem Unternehmer der hiesigen Papierindustrie zur Manifestation der Benennung des Schriesheimer Tals nach dem badischen Großherzog. „Ludwisgthal“ (sic!) steht denn auch auf dem Stein.
Ein ganz neues kleines Denkmal ist der Stolperstein für Barbara Bertha Schels, geb. Eppsteiner. Dieser wurde zwar in Freiburg verlegt, dem letzten Wohnort Schels‘ vor ihrer Ermordung 1942. Da sie jedoch zuvor lange in Schriesheim lebte, fand sie zu Recht Eingang in das Jahrbuch.
Zwölf wunderbare historische Abbildungen Schriesheims aus früheren Jahrzehnten, der Nachruf auf den Landtagsabgeordneten Bernhard Scharf und die von Andrea Bäuerle gestaltete Jahreschronik runden das gelungene Werk ab. red
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/schriesheim_artikel,-schriesheim-neue-schriesheimer-jahrbuch-ist-da-ein-schwergewichtiges-werk-_arid,2266899.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/schriesheim.html