Schriesheim - Isabell Pfeufer ist von Geburt an blind und hat einen außergewöhnlichen Tastsinn / Sie arbeitet als „Medizinisch-Taktile Untersucherin“

Ihre Hände ertasten Brustkrebs

Von 
Jessica Ludwig
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Isabell Pfeufer ist von Geburt an blind und wollte schon immer anderen Menschen helfen. © Fritz Kopetzky

Schriesheim. Obwohl sie mittlerweile von einer Berufung sprechen kann, hat sich Isabell Pfeufer vor zwei Jahren davor gesträubt, an ihren heutigen Beruf auch nur zu denken. Sie ist von Geburt an blind – und doch kann sie mit ihren Händen mehr „sehen“ als viele Ärzte. Pfeufer hat eine besondere Gabe. Sie kann mit ihren Fingern selbst kleinste Tumore erspüren. 2021 absolvierte die 36-Jährige eine Ausbildung zur „Medizinisch-Taktilen Untersucherin“ (MTU). Als eine Freundin ihr damals von dem Beruf erzählte, war ihr erster Gedanke nicht direkt positiv. „Was sollen wir Blinden denn noch alles können und machen?“, schmunzelt die Schriesheimerin. Umso mehr sie sich jedoch mit dem Beruf beschäftigte, desto mehr Sinn machte es. Schließlich verfügt sie über einen hochsensiblen Tastsinn, der dem einer sehenden Person weit überlegen ist.

"Was sollen wir Blinden denn noch alles können und machen?"
Isabell Pfeufer war anfangs skeptisch, was ihren neuen Beruf angeht.

MTU können im Vergleich zu Ärzten (ein bis zwei Zentimeter) etwa 30 Prozent mehr und bis zu 50 Prozent kleinere Gewebeveränderungen (sechs bis acht Millimeter) finden. Eigentlich ist Pfeufer gelernte Online-Redakteurin, wollte allerdings immer mit anderen Menschen mehr zusammenarbeiten. Den Menschen zu helfen, sei eines ihrer Ziele gewesen, und Medizin habe sie auch stets interessiert. Da lag die heutige Berufung fast auf der Hand.

Pfeufer arbeitet unter anderem in der Frauenarztpraxis von Viktoria Stelzer in Schriesheim. „Für eine Untersuchung bei mir müssen Frauen nicht zwangsläufig Patientinnen in der Praxis sein“, erklärt sie. Zeit solle man allerdings mitbringen. „Im Durchschnitt dauert meine Behandlung 30 bis 45 Minuten. Manchmal auch länger. Das hängt unter anderem von der Größe der Brust ab.“

Mithilfe von Papierstreifen mit Abstandsangaben in Blindenschrift, die sie auf die Brust der Frauen klebe, arbeite Pfeufer sich Schritt für Schritt über den Oberkörper. Die MTU tastet das Lymphgewebe und die Brust der Patientin systematisch Millimeter für Millimeter in drei Tiefenschichten ab. „Dabei arbeite ich gerne mit den Patientinnen zusammen, involviere sie in die Untersuchung und ermutige sie auch, sich selbst regelmäßig abzutasten. So kann man Veränderungen und Auffälligkeiten bemerken. Das kann lebensrettend sein“, gibt sie zu bedenken. Die Früherkennung führe bei Brustkrebs zu verbesserten Überlebenschancen und ermögliche eine geringstbelastende Behandlung.

Ich ermutige Patientinnen auch, sich selbst regelmäßig abzutasten. Das kann lebensrettend sein.
Isabell Pfeufer bezieht Patientinnen gerne in die Vorsorge ein.

Falls ihr während der Behandlung etwas auffalle, melde Pfeufer dies dann der Frauenärztin Stelzer. Denn nur sie dürfe eine Diagnose stellen. Die 36-Jährige betont: „Ich darf die Vermutung äußern, aber eben nicht als Ärztin handeln. Falls ich etwas ertaste, muss der Arzt oder die Ärztin natürlich weitere Untersuchungen und eventuelle Röntgenbilder machen.“ Sie übe lediglich eine ärztliche Assistenztätigkeit aus.

Bisher habe sie, vor allem innerhalb ihrer Ausbildung, immer richtiggelegen. „Dennoch muss ein Knoten nicht gleich etwas Negatives sein. Es gibt zum einen gutartige Tumore, und auch eine Zyste oder ähnliche Verwachsungen können das sein, was ich erspüre“, erläutert Pfeufer. Lebensgefährlich sei aber nicht der Tumor selbst, sondern seine Streuung in den Körper. Deshalb sei die Früherkennung so wichtig.

„Inzwischen übernehmen 29 gesetzliche Krankenkassen sowie alle privaten Krankenversicherungen die Kosten für die Taktilografie. Ansonsten kann es um die 40 bis 60 Euro kosten“, informiert Pfeufer. „Ich empfehle jeder Frau eine solche spezielle Untersuchung. Denn das Mammografie-Screening wird Frauen als gesetzliche Vorsorgeleistung erst zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr und auch nur alle zwei Jahre angeboten. Die Tastuntersuchung ist hingegen Kernbestandteil der Brustkrebsvorsorge für alle Frauen.“

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