Innenstadt. Der promovierte Historiker Ludovic Roy spricht kommende Woche bei der Harmonie-Gesellschaft über das Grundgesetz. Als Franzose hat Roy ein besonderes Verhältnis zur deutschen Verfassung, die er als „wunderbares Grundgesetz“ bezeichnet. Im Gespräch mit dieser Redaktion zeigt Roy einige Besonderheiten des Grundgesetzes auf und gibt einen Ausblick auf seinem Vortrag.
Herr Roy, welches ist der wichtigste Artikel des Grundgesetzes?
Ludovic Roy: Das ist ohne Zweifel der Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Artikel ist mir besonders als Christ sehr wichtig, ich finde ihn auch besonders schön und verantwortungsvoll. Er zeigt für jeden von uns unsere persönliche Freiheit auf, aber eben auch, dass die Freiheit da endet, wo die des anderen verletzt wird.
Welches ist die wichtigste Veränderung des Grundgesetzes, die seit 1949 vorgenommen wurde?
Roy: Es gibt viele Grundgesetzänderungen, die im Laufe der Jahrzehnte die deutsche Gesellschaft mehr oder weniger stark verändert haben. Zum Beispiel das Wahlrecht auf 18 Jahre herabzusetzen, oder in letzter Zeit auch das Sondervermögen zur Bundeswehr. Aber die wichtigste und bedeutungsvollste Änderung ist sicher die des Artikels 23, des Wiedervereinigungsartikels, der die deutsche Wiedervereinigung an die europäische Einigung knüpft. Und damit auch die Öffnung Europas nach Osten in Freiheit ermöglichte. Besonders wichtig sind auch die Teile des Grundgesetzes, die nicht verändert werden dürfen. Zum Beispiel Artikel 20, der festlegt, dass Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist.
Die wichtigste und bedeutungsvollste Änderung des Grundgesetzes ist sicher die des Artikels 23, des Wiedervereinigungs-Artikels, der die deutsche Wiedervereinigung an die europäische Einigung knüpft.
Wie wird sich das Grundgesetz verändern? Müsste es nicht von einer neuen, gesamtdeutschen Verfassung abgelöst werden?
Roy: Manche bemängeln ja, dass es keine „richtige“ Verfassung und den Deutschen von den West-Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg „aufgezwungen“ worden sei. Aber es ist so gut geworden, dass die Frage wirklich ist: Was wäre denn an einer neuen Verfassung besser? Außerdem ist das Grundgesetz seit der Wiedervereinigung ja unsere Verfassung. Es garantiert die politische Stabilität, ist aber dabei flexibel genug, dass immer regiert werden kann. Das Grundgesetz zwingt die Politik zum Kompromiss und macht deutlich: Wer nicht kompromissfähig ist, ist kein Demokrat.
Was unterscheidet das Grundgesetz von anderen Verfassungen, etwa von der französischen?
Roy: Vor allem, dass der Bundestag, also das Parlament, das wichtigste Organ ist. Der deutsche Kanzler ist aufgrund der Gewaltenverschränkung bei weitem nicht so mächtig wie der französische Präsident. Ziemlich einzigartig ist auch, dass das Grundgesetz ein ausdrückliches Recht zum Widerstand gegen seine Abschaffung, also eigentlich eine Pflicht der Deutschen formuliert, ihr Grundgesetz zu schützen.
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