Neckarstadt West. Es war ein Schwelgen in guten alten Zeiten: Auf den edel schwarz-weiß gehaltenen Fotografien sah man einen altmodischen Tante-Emma-Laden mit einem Sammelsurium von Artikeln für den alltäglichen Bedarf, eine alte Trinkhalle in der Mittelstraße als sozialer Treffpunkt, den stämmigen Bademeister Fridolin und vier Bodybuilder mit Schnurrbart, die im ehemaligen Sportstudio Apollo neben der Hantelbank posieren. „Heute sagt man wohl Street-Fotografie dazu“, erklärte Fotograf Bernhard Leibold.
Durch Leibolds Linse und die Kameras seiner Kollegen Frank Widmann, Eva Herbst, Luis Mir Y Vogel, Monika Bähr und Karl Melchert waren diese Fotos in den frühen 1980er-Jahren entstanden, in der Neckarstadt-West allgemein und im Alten Volksbad im Besonderen. Unter dem Titel „Ein Ort im Wandel der Zeit“ fand eine dreitägige Ausstellung dieser Bilder im Untergeschoss des Alten Volksbads statt. Somit konnte man die Bilderschau im Rahmen der Kunstreihe „Ad Hoc Art“ als Liebeserklärung an den multikulturellen Stadtteil Neckarstadt-West verstehen, der auf eine wechselhafte Geschichte zurückblickt.
Fotografien in Kellerräumen mit alten Badewannen
In den hellen Kellerräumen mit den alten Badewannen hingen Fotografien an den weißen Wänden, die über bildlich eingefrorene Alltagsszenen eine Zeitreise in die Vergangenheit ermöglichten. Durch die Ausstellung führten die beiden Fotografen Bernhard Leibold, der als Jugendlicher in der Alphornstraße wohnte, und Frank Widmann, der als gebürtiger Mannheimer in Wiesbaden studierte und dort viele Jahre lebte, bis der 65-Jährige vor drei Monaten zurück in den Stadtteil Sandhofen zog.
Seit jeher fangen die Lichtbildkünstler Leibold und Widmann den Menschen in all ihrer kulturellen Vielfalt mit dem Sucher ein – entweder mit einem ausdrucksstarken Gesicht als Portrait oder eingebettet in seine Umgebung. „Ich habe für Opel gearbeitet, in der Werbung. Zum Beispiel habe ich Fotos für einen preisgekrönten Autokalender gemacht“, erläuterte der studierte Kommunikationsdesigner Widmann, der 1987 mit Pressevertretern an einer Erprobungsfahrt in zwei Opel-Fahrzeugen von Alaska bis nach Feuerland teilnahm. Eine abenteuerliche Odyssee von 30.000 Kilometern als PR-Maßnahme.
Shootings in der Atacama-Wüste und für Nike
Dabei kam Widmann die Aufgabe zu, mit seiner Fotokamera diese Reise, die ihn quer durch die südamerikanische Atacama-Wüste führte, zu dokumentieren. In jenen Jahren war noch die analoge Fotografie mit aufwendiger chemischer Entwicklung in einer Dunkelkammer üblich. Erst 2004 stieg Frank Widmann auf digitale Fotografie um. „In der Atacama-Wüste sahen wir Gruben mit vertrockneten Mumien“, erinnerte sich Künstler Frank Widmann an ein morbides Erlebnis. Für den Sportartikelhersteller Nike traf Widmann im Rahmen eines Fotoshootings den Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher während dessen aktiven Karriere des Rennfahrers.
Im Internet kann man sich die Ausstellung „Ein Ort im Wandel der Zeit - Fotografien der Neckarstadt und des Volksbads 1983“ online anschauen. Außerdem ist ein gedruckter Ausstellungskatalog erschienen. „Wir haben die Neckarstadt-West fotografisch entdeckt. Durch das Auge der Kamera“, schilderte Fotograf Bernhard Leibold, der als Dreher bei Daimler auf dem Waldhof arbeitet und im August in den Ruhestand gehen möchte. Wer mit der Kamera in der Hand durch die Straßen laufe, auf der Suche nach interessanten Motiven, lerne dabei, mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen und Hemmschwellen zu überwinden. „Das ist ja nicht so ganz einfach, auf Menschen zuzugehen“, weiß Bernhard Leibold, der auf der Vogelstang wohnt und Mitglied des Foto-Forums Oberhausen-Rheinhausen ist, aus Erfahrung.
„Früher gab es eine richtige Kneipenkultur, etwa den Floßhafen und das Himmelreich“
Wer sich philosophisch mit der Fotografie auseinandersetzen möchte, dem empfiehlt Frank Widmann das essayistische Buch „On Photography“ der Schriftstellerin Susan Sontag von 1977. In diesem gedankenvollen Buch steht der Satz: „Fotografieren ist genauso einfach, wie einen Zündschlüssel zu drehen oder eine Schusswaffe abzufeuern.“ Oder wie der Berliner Popstarfotograf Jim Rakete formulierte: „Mit dieser Box kann man die Zeit anhalten.“ Auf manchen Bildern sind Neckarstädter Gaststätten zu sehen, die längst nicht mehr existieren. „Früher gab es eine richtige Kneipenkultur, etwa den Floßhafen und das Himmelreich“, blickte Leibold wehmütig zurück. Demnächst möchten die Organisatoren die Bilder dem Stadtarchiv Marchivum übergeben. Damit die historisch Auskunft gebenden Fotos für zukünftige Generationen erhalten bleiben.
Ausstellung auch digital
- Der Ausstellungskatalog „Ein Ort im Wandel der Zeit“ , der in Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt Neckarstadt e.V. entstand und 30 Seiten mit schwarz-weißen Fotografien umfasst , kostet sieben Euro.
- Außerdem ist die Fotoausstellung in digitaler Form im Internet zu finden . Weitere Informationen bei den Fotografen Frank Widmann und Bernhard Leibold per E-Mail über mail@frank-widmann.de und bernhardleibold@gmx.de sowie auf der Homepage www.geschichtswerkstatt.org. hfm
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