Innenstadt. Zu Beginn seines Vortrags „Das Grundgesetz im Wandel der Zeit“, projiziert Lodovic Roy die klug durchdachte Architektur des Jakob-Kaiser-Hauses auf die Wand. Aber was hat das Berliner Gebäude mit dem Grundgesetz zu tun? „Es ist ein symbolhaftes Bild“, lässt er die zahlreichen Gäste im Florian-Waldeck-Saal des Zeughauses wissen, die auf Einladung der Harmonie, der ältesten Kulturgesellschaft der Kurpfalz, gekommen sind. Das Grundgesetz sei in dem größten deutschen Parlamentsbau nicht willkürlich in Glasscheiben eingraviert. Den Politikern, die dort wirken, soll es stets vor Augen sein und erinnern, dass Demokratie zerbrechen könne wie Glas. Man ahnt, dass es an diesem Abend spannend wird und vielschichtig obendrein. Denn das Thema ist groß. Schließlich wurde die Verfassung bereits am 23. Mai 1949 feierlich verkündet. Das ist 76 Jahre her.
Das Wichtigste: Paragraph 1 des Grundgesetzes
Der Zweite Weltkrieg war gerade vier Jahre vorüber und die Amerikaner forcierten das Zustandekommen, weil sie, so Roy, „auf ein friedliches und demokratisches Deutschland hofften, das seine Freiheit und seine Unabhängigkeit erlangt und erhält“. Die Militär-Gouverneure der westlichen Besatzungszonen stimmten dem zu, und die Bundesrepublik Deutschland wurde gegründet. Obwohl nur 21 Prozent der Deutschen an der Verfassung interessiert und sie 40 Prozent gleichgültig war, ging ab diesem Zeitpunkt „alle Staatsgewalt vom Volke aus“. Das Wichtigste aber bleibe, erläutert der promovierte Historiker, Paragraph 1 des Grundgesetzes. „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“.
Einer Erweiterung der Verfassung steht dabei nichts im Wege und wurde bis zum Jahr 2025 neunundsechzig Mal vorgenommen. Im Jahr 1954 ist die Bundesrepublik weitgehend aufgebaut und „die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Verteidigungsangelegenheiten“ sollte neu geregelt werden. In den „Pariser Verträgen“ wird die Wiederaufrüstung beschlossen. Viele der Zuhörerenden werden sich an die Herabsetzung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre erinnert haben, die 1970 in Kraft trat. Und natürlich auch an 1990, als nach der Vollendung der Einheit Deutschlands die Verfassung für das gesamte deutsche Volk als Grundgesetz konstituiert wurde. Und ohne Deutsche Einheit, macht Roy deutlich, „gäbe es keine Europäische Union“.
Die Zeiten wandeln sich. Und immer sind Anpassungen nötig. Auch im Asylkompromiss, bei der Verschuldung der Länder, dem Sondervermögen und der Schuldenbremse, wie wir sie ganz aktuell miterleben. Selbst wenn so manche und mancher über die Verfassung schimpfen würde, garantiere sie doch politische Stabilität. Ein Blick ins wechselhafte Ausland zeige, dass es hierzulande nur neun Kanzler und eine Kanzlerin in den 76 Jahren gegeben habe. Und die politischen Parteien seien ein Erfahrungsschatz ohne große Brüche. Ludovic Roy hat viel zu sagen.
Er spricht schnell, informativ und würzt mit kleinen Späßchen. Und nach Erläuterungen, wie das Verfassungsgericht als „Hüter der Verfassung“ die Grundrechte wahrt, wie Bundesrat, Bundestag und der Bundespräsident in Abstimmungen und Zustimmungen eingebunden sind, erfolgt großer Applaus.
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