Mannheim-Neckarstadt. Wer weiß noch, dass im Volksmund die Max-Joseph-Straße überm Neckar einmal die „Sprüchbeitelgass“ hieß? Und wer weiß, dass die keineswegs amtliche Nummerierung der Querstraßen zur Mittelstraße – die Elfte, Zwölfte, Neunzehnte – aus der Einteilung in die früheren Gartengassen kommt? Buchbindemeisterin Annette Schrimpf weiß das. Wenn sie morgens aus ihrer Wohnung in der Lange Rötterstraße zur Arbeit in ihr Geschäft in der Waldhofstraße geht, dann kann es schon mal eine halbe Stunde dauern. Ein Schwätzchen hier, eine historische Erklärung dort: „Weil ich viel kenne, ich liebe das am Stadtteil, das ist für mich Heimat“, schwärmt sie. Bis auf zwei Jahre in Potsdam hat sie immer in der Neckarstadt gelebt.
Der bevölkerungsreichste Stadtteil Mannheims ist aufgeteilt in die beiden Stadtbezirke Neckarstadt-West und Neckarstadt-Ost. Die Waldhofstraße bildet in etwa die Grenze. „Ich wohne nicht nur hier, sondern arbeite auch hier – das ist mein Lebensmittelpunkt“, betont Annette Schrimpf. Sie ist die Inhaberin der traditionsreichen Buchbinderei Schrimpf, „Meine Familie lebt hier schon seit über 100 Jahren, ich bin in der Neckarstadt verwurzelt“, sagt Annette Schrimpf. Ihre Eltern wohnen im Haus mit Firmensitz der Buchbinderei Schrimpf in der Waldhofstraße 8 seit 49 Jahren. Davor hatten sie in der Waldhofstraße 1 gewohnt, bis es hieß, das Haus werde abgerissen. „Das ist sehr schade, weil die Fassade sehr schön war“, bedauert Schrimpf.
Lehre beim Vater
Doch nicht nur die Fassade des sogenannten „Laurentiusblocks“ habe sich verändert, sondern die ganze Waldhofstraße. Die frühere Einbahnstraße wurde auf zwei Fahrspuren verbreitert. „Das bedeutet doppelte Lärmbelastung für die Anwohner und Geschäftsleute, der Bus scheppert und die Straßenbahn ist laut“, klagt die Buchbindemeisterin. Sie berichtet: „Früher als Kinder durften wir nicht über die Straße, weil es schon damals zu gefährlich war.“ Doch in ihrem Haus hätten viele Kinder gewohnt. Sie hätten im Hof gespielt – „Räuber und Gendarm“ durch die ganzen Hinterhöfe. „Damals wusste man noch, wo die Türen offen waren.“
Annette Schrimpf besuchte die Uhlandschule und dann die Wohlgelegen-Realschule, bevor sie eine Lehre in der Buchbinderei ihres Vaters Rudolf Schrimpf absolvierte. Früher war die Waldhofstraße die Einkaufsstraße der Neckarstadt mit vielen kleinen Geschäften. Doch der Umbau der Straße habe lange gedauert. Viele Geschäfte hätten aufgegeben. Am Schluss seien nur noch Fahrrad Penn und ihre Buchbinderei da gewesen – Fahrrad Penn gibt es nun auch nicht mehr.
Später war die Mittelstraße die Haupteinkaufsstraße. Doch auch das hat sich längst geändert. Den früheren Spielzeugladen Huber und das Bekleidungsgeschäft Schlittmeier, Bäcker und Metzger gibt es nicht mehr, erzählt Schrimpf. Geblieben sind das Elektrofachgeschäft, das Eiscafé Wissenbach und das Café „Mohrenköpfle“ – „mit dem besten Kuchen in der Stadt“, so Schrimpf. „Heute ist die Lange Rötterstraße die Einkaufsstraße mit einem breiten Angebot, vielen kleinen Läden und netten Cafés“, erklärt sie Das Eiscafé Adria sei für viele das zweite Wohnzimmer, sagt Schrimpf lachend.
Lieblingsplatz am Fluss
Gerne geht sie auf dem Weg zur Arbeit durch die Pozzi- und die Max-Joseph-Straße, „wegen der vielen schönen Gründerzeithäuser und Vorgärten“. Der Lieblingsplatz der heute 50-Jährigen ist aber am Neckar. Dort schaut sie den Skatern zu auf dem gut frequentierten Sportpark Alter. „Mich ärgert das Gerede über die Neckarstadt“, sagt Schrimpf. Klar gebe es noch Handlungsbedarf. „Doch man darf nicht nur die Probleme sehen, sondern auch die vielen positiven Seiten, wie die vielfältigen Kneipen- und Kulturangebote.“ Annette Schrimpf erklärt: „Im östlichen Teil der Neckarstadt ist es ruhiger, leiser und gemächlich, und im westlichen Teil sehr lebendig.“ Wenn sie abends noch etwas brauche, sei sie froh, wenn sie in der Neckarstadt-West noch was finde.
„Die Neckarstadt hat so viel zu bieten, die Mischung macht‘s, jeder profitiert vom anderen“, betont Schrimpf. Sie kann die Trennung zwischen Ost und West nicht verstehen: „Die Neckarstadt sollte man immer als Ganzes sehen“, findet sie.
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