Geistliches Wort

Zwischen Wut und Mut

Von 
Barbara Heimes
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Wie gehe ich mit so viel Schmerz und Leid an einem Tag um? Dieser Montag war so ein Tag …

Die unerträglich widerwärtigen Feststellungen des Missbrauchsgutachtens des Erzbistums München und Freising, die fast nicht aushaltbaren Schilderungen menschenverachtendsten Missbrauchs an Kindern durch Priester und die noch unerträglichere Erkenntnis, dass Verantwortliche aller kirchlichen Ebenen maximal das nicht mehr Abstreitbare zugeben werden, treiben mir Tränen der Wut und des unbändigen Zorns, des Entsetzens und gleichzeitig der Machtlosigkeit in die Augen und ins Herz.

#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst, lautete eine Meldung in den Nachrichten am Morgen. 125 queere Menschen outen sich öffentlich in einer gemeinsamen Aktion. Viele von ihnen hatten oder haben denselben Arbeitgeber: die Katholische Kirche mit ihrem eigenen kirchlichen Arbeitsrecht. Und viele von ihnen wagen im Schutz der Gemeinschaft zum ersten Mal den Schritt in die Öffentlichkeit. Die einstündige Dokumentation am Abend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Sendezeit und die vielen kurzen Interviews in der Mediathek lassen mich vor dem Mut dieser Menschen verbeugen!

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Die riesige Resonanz in den Medien und auf die Petition von #OutInChurch zeigt, wie wichtig und dringend es ist, das kirchliche Arbeitsrecht an die Menschenwürde aller anzupassen! Neben dem Respekt vor dem mutigen Schritt dieser 125 Menschen ist aber eben auch das große Leid hinter den Regenbogenfarben sicht- und spürbar geworden. Wie viel unendlicher Schmerz und geweinte Tränen sich hinter denen verbergen, die vor der Fernsehkamera sichtbar werden durften, kann ich nicht einmal ansatzweise erahnen.

Ich war überrascht, wie viele der Gesichter ich schon aus unterschiedlichen Zusammenhängen kenne, auch ganz persönlich. Und gleichzeitig kommen mir noch so viele andere zum Teil sehr vertraute queere Menschen in den Sinn, die ihren Weg in und mit dieser Kirche gehen oder suchen. Viele von ihnen verdeckt. Was all diesen Menschen Kraft geben mag, zum Leben, zum Überleben, glauben zu können? Da ist ein Interview, das mir ein Bild für Kraft und Halt gezeigt hat: Mara Klein erzählt vom theologischen Begriff der Gottesebenbildlichkeit, nach dem eben in jedem Menschen ein Ebenbild Gottes zu erkennen ist, und damit etwas von dem Geheimnis Gottes, des ganz anderen Gegenübers.

Und dann mittenhinein in dieses Nachdenken und Auseinandersetzen die ersten Anrufe und besorgten Fragen: Wo bist du? In Mannheim oder Heidelberg? Bist du in Ordnung? Uns geht es gut, du musst dir keine Sorgen machen! Wie ein Blitz schlägt die Nachricht über den Amoklauf in Heidelberg bei mir ein. Nach der Schockstarre Entsetzen, Schmerz und Trauer. Die Stadt, die ich morgens verlassen hatte, war eine andere geworden, als ich am Abend zurückkehrte. Und seit dem der Gedanke: Wohin mit all dem Schmerz, all dem Leid über das Geschehene?

Aus den Klageliedern Jeremias: „Wasserbäche rinnen aus meinen Augen über den Jammer der Tochter meines Volks. Meine Augen fließen und können’s nicht lassen, und es ist kein Aufhören da, bis der Herr vom Himmel herabschaut und darein sieht.“ (Klgl 3, 48-50)

Barbara Heimes, Gemeindereferentin der Katholischen Seelsorgeeinheit Mannheim Johannes XXIII.

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