Bildung

Zweier-Teams an Mannheimer Schulen fördern Kinder ganz gezielt

An der Vogelstangschule und an weiteren Ganztagsschulen in Mannheim sind sie im Einsatz in den Klassen: Teams aus Lehrkraft und Erzieher. Kinder werden so gezielt gefördert. Das Land möchte von den Erfahrungen profitieren.

Von 
Bertram Bähr
Lesedauer: 
Arbeiten im Team: Erzieher Tim Eisen (l.) und Lehrerin Christine Kamer (hinten r.) in ihrer vierten Klasse an der Vogelstangschule. © Bertram Bähr

Auf dem Programm steht „Tandem-Lesen“. Ein Kind liest laut vor, das andere leise mit – und hilft, wenn Hilfe gebraucht wird. Wie Mobina: Als Levinia Probleme mit dem Wort „Feuermelder“ hat, kann Mobina unterstützen. Die Zweiergruppen in der vierten Klasse der Vogelstangschule sind auf den Raum verteilt. Dass mehrere Kinder gleichzeitig lesen, stört die Konzentration nicht.

Das „Tandem-Lesen“ ist nur ein kleiner Teil der Schulstunde, in der es auch darum geht, mit dem Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ zu arbeiten. Das 132 Jahre alte Werk von Theodor Fontane als Lernstoff für eine Grundschulklasse? „Ein Uralt-Text“, räumt Lehrerin Christine Kamer lachend ein. Aber dennoch ein Text, der die Viertklässler neugierig macht.

Das wird während der Stunde mehr als deutlich. Die Kinder singen begeistert mit, als die Ballade in einem Filmchen mit Gitarrenbegleitung vorgetragen wird. Sie erarbeiten in Zweiergruppen Präsentationen und stellen das Ribbeck-Gedicht der Klasse als Kanon oder als Rap vor. Und sie wissen längst, was der plattdeutsche Begriff „lütt Dirn“ bedeutet: „kleines Mädchen“.

Selbstständig arbeiten, Texte lesen und verstehen, Lust und Freude am Lesen haben: Bei all dem steht den Schülern neben Christine Kamer, die seit 20 Jahren an der Vogelstangschule unterrichtet, Erzieher Tim Eisen zur Seite. 2016 ist er an die Schule gekommen – und er ist begeistert davon, dass hier in aller Regel in Zweier-Teams gearbeitet wird.

Stadt unterstützt mit Personal

Er sei da „als Gesprächspartner und Konfliktlöser, damit der Unterricht reibungslos ablaufen kann“, berichtet Tim Eisen. Der Erzieher nimmt außerdem einzelne Kinder aus der Klasse, um sie gezielt fördern zu können. Oder widmet sich einem Schüler, der mit einer Aufgabe Probleme hat, während Christine Kamer in der Gruppe weitermacht.

Solche Zweier-Teams arbeiten an der Vogelstangschule, seit sie 2011 zur Ganztagsschule geworden ist. „In jeder Klasse gibt es eine Bezugserzieherin oder einen Bezugserzieher“, berichtet Rektorin Martina Schmidt einer Reihe von Gesprächspartnern. Gekommen sind unter anderem die Grünen-Landtagsabgeordnete Susanne Aschhoff, Bildungswissenschaftlerin Anne Sliwka von der Uni Heidelberg und Bildungsbürgermeister Dirk Grunert. Sie erfahren, dass das Erzieherteam die Lehrkräfte tagtäglich im Unterricht unterstützt, in der Regel zwei bis drei Stunden lang. Das sei ein großer Vorteil, um die Kinder gezielt fördern zu können, betont Schmidt.

Dass die Doppelbesetzung häufig klappt, dafür sorgen mehrere Beteiligte. So stellt die Stadt den Ganztagsschulen etwa zwei Drittel der für die Klassenteams und die Mittagsbetreuung erforderlichen Erzieherinnen und Erzieher zur Verfügung. Schmidt nutzt außerdem Mittel aus dem Ganztagsbudget, um Fachkräfte aus dem Wespinstift ins Boot zu holen. Verstärkt wird das Team daneben durch Sonderpädagoginnen, Studierende, FSJ- und BFD-Kräfte. Stets willkommen sind auch ehrenamtliche Lesepatinnen und -paten.

Ungleiches ungleich behandeln

Diese Teamarbeit in Mannheims Ganztagsschulen gilt auch als Vorbild für das Land. Die grün-schwarze Koalition habe beschlossen, landesweit den Einstieg in „Multiprofessionalität“ zu schaffen, so Anne Sliwka. Dabei soll das zusätzliche Personal nicht mit der Gießkanne verteilt werden. Unter dem Schlagwort „Ungleiches nicht gleich behandeln“ geht es stattdessen darum, Schulen in sozial herausfordernden Lagen stärker zu unterstützen als andere.

Welche Schulen mehr als andere bekommen sollen – das ist eine spannende und schwierige Frage. Sie müsse deshalb „auf Grundlage von objektiv und rational entwickelten Faktoren“ beantwortet werden, sagt Anne Sliwka. Einen entsprechenden Sozialindex erarbeitet das Land seit September zunächst im Bereich der Staatlichen Schulämter Biberach, Lörrach und Tübingen. Dieser Index, dessen Grundstrukturen bis zum Frühjahr 2023 stehen sollen, könne „in die Verteilung der multiprofessionellen Teams einfließen“, so Susanne Aschhoff.

Dass Mannheim mit seinen langen Erfahrungen auf diesem Gebiet in der ersten Stufe nicht einbezogen wurde, hatte in der Stadtverwaltung zunächst für Verwunderung gesorgt. Aber 2023 soll Mannheim in die Erprobungsphase mit einsteigen. Außerdem greife das Land auf Erfahrungen zurück, die man hier gemacht habe, freut sich Grunert: „Es interessiert sich sehr dafür, was wir machen.“ Er begrüßt, dass das Land die Ressourcen „anders steuern möchte“. Das Ganze werde allerdings nur gelingen, „wenn man zusätzliche Mittel bereitstellt“.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen