Geschichte (mit Fotostrecke)

Zeugen Jehovas: Ausstellung zeigt Leid im Dritten Reich

Von 
Markus Mertens
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Es ist zunächst das Grauen, das diesen Nachmittag bestimmt. Die Austellung im Kulturhaus RomnoKher des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma offenbart das Leid, das Tausenden Zeugen Jehovas im Dritten Reich angetan wurde.

Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbandes, erinnert zu Beginn daran, dass es die Zeugen Jehovas gewesen seien, „die sich als einzige im Dritten Reich nicht mitschuldig am Morden“ gemacht hätten. Lange nach der Machtergreifung Adolf Hitlers hätten sie noch zu den Juden gestanden - wohlwissend, was das für ihr Los bedeuten würde.

Das unterstreichen Originaldokumente. So schreibt eine Bad Dürkheimer Glaubensgruppe furchtlos am 7. Oktober 1934 an Hitler persönlich: „Wenn Ihre Regierungsbeamten uns Gewalt antun, weil wir Gott gehorchen, dann wird unser Blut auf Ihrem Haupte sein.“

Peter Kurz mahnt

Oberbürgermeister Peter Kurz betont in seinem Grußwort, dass „dieses Ausmaß von Entrechtung jenseits jeder Vorstellungskraft niemals vergessen“ werden dürfe. Nicht zuletzt, weil auf einer „politisch derzeit wieder abschüssigen Strecke“ jeder Schritt in die falsche Richtung einer zu viel sein könne.

Was dieser Schritt zu viel bedeutet - davon künden die Exponate. Persönlich, nahbar und dennoch dokumentarisch dicht führen die einzelnen Tafeln an die Schicksale so vieler NS-Opfer heran. Wie Josef Edlmann, der seinen vier Kindern geraubt wurde und lieber in den Tod ging, als den eigenen Glauben zu verraten. Oder der junge Rudolf Moebs, der sich dahinmeucheln ließ, anstatt an der Waffe im Krieg anderen das Leben zu rauben.

Menschliche Größe erlebt

Doch schreibt dieser Nachmittag auch positive Geschichten wie die von Alex Ebstein. Über Jahre hinweg hat sich Christoph Wilker, selbst Zeuge Jehovas, mit dem Überlebenden der Lager Auschwitz und Sachsenhausen unterhalten - und dabei so viel „menschlicher Größe“ kennen gelernt, dass sie die „europäische Vernichtungsgeschichte“ bei Weitem überstrahlt, wie es der Historiker Tim Müller ausdrückt.

Klaus Bräuchle, 1930 geboren, musste als Sechsjähriger ertragen, dass sein Vater Gustav direkt von der Arbeit bei der BASF in Ludwigshafen in Haft gesteckt wurde. Weil er als gläubiger Zeuge Jehovas in der Region die Literatur seiner Gemeinschaft verteilte. Ein konspiratives Lager mit 400 Zentner Druckschriften, das die Zeugen in Mannheim unterhielten, hatte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) damals schon enttarnt.

Weil die Mutter als „politisch unzuverlässig“ gilt, wird der kleine Klaus zu Onkel und Tante gebracht, die überzeugte Nazis sind. Der Blockleiter der NSDAP kommt regelmäßig zur Kontrolle und verpflichtet den Bub, ins Jungvolk zu kommen. Zwischen Heer, Marine und den Fliegern wählen zu dürfen, sei ihm damals wie ein „unglaubliches Abenteuer“ vorgekommen, blickt Bräuchle durchaus selbstkritisch zurück. Wenngleich er eingestehen muss, dass er in Obhut zwar versorgt wurde, das „geistige Wohl“ aber auf der Strecke blieb: „Wir wurden schamlos instrumentalisiert - wenn man am Weltempfänger die Gefallenenmeldungen der Gegner hörte, bekam man den Eindruck: Wir haben den ganzen Tag gesiegt.“

Während der Junge zunächst die NS-Karriere durchlaufen muss, kommt sein Vater aus der Haft in Frankenthal direkt nach Dachau, später nach Mauthausen, wo er als gelernter Schlosser Glück hat, sich nicht zu Tode schuften zu müssen. Doch auch, wenn er nach der Befreiung 1945 das Glück hat, als Überlebender nach Hause zurückzukehren: Die Beziehung zum Sohn muss gänzlich neu erschaffen werden. „Als er damals zu Hause klingelte, sah ich da einen fremden Mann vor der Türe stehen“, erinnert sich Klaus Bräuchle - und ist so dankbar, dass der erste Schritt des Vaters der Antrag auf das Sorgerecht für ihn war.

Gemeinsame Verantwortung

Ganz schließt sich die Wunde für Klaus Bräuchle erst, als er mit 22 Jahren seiner Frau Hilde begegnet - und die große Liebe schließlich den Schmerz überwindet. So sehr ihn seine Stellung als Produktionsleiter Motorenbau bei den Mannheimer Mercedes-Werken freut: Die Erfüllung findet er in der menschlichen Nähe. Bewegt sagt Bräuchle dem „MM“: „Ich weiß, wozu es führen kann, wenn Menschen den falschen Idealen hinterherlaufen - ich habe es am eigenen Leib zu spüren bekommen. Und wir sind alle gemeinsam dafür verantwortlich, dass das nie mehr geschieht.“

Die Gedenkausstellung

  • Im Beisein von Oberbürgermeister Peter Kurz wurde die Ausstellung „Verfolgung der Zeugen Jehovas 1933-1945“ beim Landesverband Deutscher Sinti und Roma in Mannheim eröffnet.
  • Die Exponate zielen dabei auf die Schicksale von Anhängern der Glaubensrichtung aus der ganzen Bundesrepublik, reichen in ihrem Inhalt aber auch in die Region.
  • Anwesend war unter anderem der Zeitzeuge Klaus Bräuchle, dessen Vater Gustav als Zeuge Jehovas inhaftiert wurde und später die Konzentrationslager Dachau und Mauthausen überlebte.
  • Die Ausstellung ist bis zum 16. Februar 2020 montags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr und sonntags von 12 bis 18 Uhr im Gebäude des Landesverbandes in B 7, 16 zu sehen.
  • Nach vorheriger Anmeldung sind kostenfreie Führungen an den ersten beiden Wochenenden auch mit Kurator Christoph Wilker möglich. Weitere Informationen gibt es unter 0621/91 10 91 00.
Mannheim

Ausstellung erinnert an die Verfolgung der Zeugen Jehovas

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