Mannheim. Zum Internationalen Nichtbinär-Tag (International Non-Binary Day) am 14. Juli hat Mannheim Flagge gezeigt und als erste Stadt Deutschlands ein Zeichen für mehr Solidarität gegenüber nicht-binären Menschen gesetzt. Vier nicht-binäre Pride-Flaggen, die Querstreifen mit den Farben Gelb, Weiß, Lila und Schwarz enthalten, wurden am Dienstag am Rathaus gehisst. „Der Stadt Mannheim liegt die Chancengleichheit und Teilhabe aller Menschen am Herzen“, erklären Margret Göth und Sören Landmann, Beauftragte der Stadt Mannheim für die Chancengleichheit von Menschen vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Identitäten. „Die Anliegen von nicht-binären, trans* und inter* Menschen sichtbar zu machen und uns mit ihnen solidarisch zu erklären, ist daher für uns selbstverständlich.“
Begriffserklärungen: Was bedeutet Cis, Trans* und Nicht-binär?
Cis: die Person identifiziert sich mit dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht
Trans*: die Person identifiziert sich nicht mehr oder nur noch in Teilen mit dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht
Nicht-binär (englisch: non-binary; Synonymer Begriff: genderqueer): Oberbegriff für Menschen, die sich in dem zweigeteilten Geschlechtersystem „männlich“ und „weiblich“ nicht repräsentiert fühlen
Bei non-binärem Geschlecht geht es um die empfundene Geschlechtsidentität einer Person: Unterschiedliche Menschen können sich als non-binär sehen und verschieden leben; wesentlich ist, wie sich eine Person selbst definiert
Literaturempfehlungen zum Thema und die komplette Veranstaltung zum Nachschauen finden Sie unter: www.mannheim.de/LSBTI
Passend dazu konnten Interessierte am Dienstagabend um 17 Uhr an einer virtuellen Veranstaltung zu nicht-binärer Solidarität teilnehmen. Veranstaltet wurde das Online-Event aus einer Kooperation der LSBTI-Beauftragung der Stadt Mannheim mit der Bündniskoordinierungsstelle Mannheim, Psychologische Lesben- und Schwulenberatung (PLUS), dem Queeren Zentrum Mannheim und dem Transtreff Mannheim. Der Vortrag wurde von Dipl. Psycholog*in René_Rain Hornstein gehalten. Angesprochen werden möchte Hornstein mit dem Neopronomen ‚em‘.
Wie geht solidarisches Handeln?
Erster Schritt ist Hornstein zufolge, gesellschaftliche Muster und Machtverhältnisse zu erkennen und einzugestehen, dass man durch diese geprägt ist. „Selbst wenn Sie Mechanismen der Unterdrückung – also Rassismus oder Transfeindlichkeit – ablehnen und schlecht finden, heißt das nicht, dass sie keine Macht über Sie haben.“ Konkret meint em damit Ungerechtigkeiten und Unterdrückung, die durch unverdiente Privilegien von Cis-Personen gegenüber Trans*-Personen ausgelöst werden. Diese zu erkennen und Verantwortung für eine Veränderung der Muster zu übernehmen sei nötig. Weitere Schritte sind daraufhin das Einwirken auf andere (Individuen, Gruppen und Institutionen) sowie die Unterstützung von diskriminierten Individuen und Gruppen.
Wer sich solidarisch verhalten will, sollte daher zunächst die eigene Haltung hinterfragen und den Wissensstand verbessern. Damit verbunden ist auch, bei Kritik durch Betroffene nicht sofort in eine Abwehrhaltung zu verfallen, sondern erstmal darüber nachzudenken und für den weiteren Umgang dazuzulernen. Im Endeffekt zählt, ob die Aussage das Gegenüber verletzt hat, auch wenn es ‚nicht so gemeint war‘. Als erste Anlaufstelle um sich selbst weiterzubilden, empfiehlt Hornstein die Seite www.nonbinary.ch. Darüber hinaus gibt em einen Ratschlag an Menschen, die sich während einer Konversation unsicher sind, ob eine Frage unangebracht ist oder nicht: Überlegen Sie sich ganz einfach, ob Sie das eine Person fragen würden, die nicht trans* oder non-binär ist. Sie würden einer fremden heterosexuellen cis-Person keine Fragen zu ihrem Sexleben stellen? Dann fragen Sie auch die trans* oder non-binäre Person nicht danach.
„Ich fühle mich meistens unsichtbar“
Um einen Eindruck von der Lebensrealität nicht-binärer Menschen zu bekommen, fanden Gespräche mit Josefine (Fine) Giebler, 22 Jahre, und Sam, 25 Jahre, statt. Beide wohnen und studieren in Mannheim. Sie möchten, dass die englischen Pronomen they/them verwendet werden, bzw. Sams Pronomen im deutschen sind er/ihm. Wie Fine erklärt, ist they froh wenn zu Beginn eines Gesprächs nach dem Pronomen gefragt wird, anstatt von äußeren Erscheinungsmerkmalen eine binäre Geschlechtsidentität zuzuschreiben. Sam kritisiert besonders dieses Schubladendanken: „Von der Gesellschaft werde ich anhand von Äußerlichkeiten immer als Mann oder Frau eingeordnet. Auf das komplette Spektrum wird nicht eingegangen.“
Für viele Menschen in Fines Umfeld ist they die erste nicht-binäre Person und muss immer wieder erklären, was damit überhaupt gemeint ist. They wünscht sich deshalb, dass Menschen sich mehr informieren und non-Binärität auch ohne konkreten Anlass Gesprächsthema wird. Insgesamt finden beide, dass die Toleranz – vor allem in jüngeren Kreisen – gestiegen sei. An Basiswissen und Sensibilität im Umgang mangle es aber trotzdem häufig. Sam wünscht sich insgesamt mehr Rücksicht und Verständnis, besonders wenn er sich bei einem Gespräch verletzt fühlt und Leute darauf hinweist. Fine fühlt sich bei Gesprächen meist unsichtbar: „In der Alltagssprache ist eigentlich immer von männlich und weiblich die Rede. Auch im engen Umfeld bin ich damit meist nicht mal Teil der Unterhaltung und das tut besonders weh.“
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