Es war im Frühjahr bei einem meiner wöchentlichen Spaziergänge. Da nehme ich mir Zeit, meine Woche Revue passieren zu lassen und ihre Eindrücke zu verarbeiten – und zu beten. Manche Menschen, die beten, haben dafür einen Lieblingsplatz. Die einen gehen in eine Kirche, die anderen haben einen Ort in ihrem Wohnzimmer. Ich habe die intensivsten Gebetserlebnisse, wenn ich allein in der Natur bin und meine Gedanken nicht nur vor mich hin denke, sondern sie mit meinem Gott besprechen kann. Laut. Mit Luft und Atem.
Und das waren an diesem Nachmittag, als die Kurzzeitöffnung nach dem zweiten Lockdown gerade scheiterte, ziemlich dunkle Gedanken. Ich war zutiefst niedergeschlagen und unzufrieden mit meiner Welt – und weil die Stelle, an der ich war, so einsam und ich ganz allein war, fanden die Gedanken laute Worte und ich redete mit meinem Gott, so wie ich mit einem Freund oder Familienmitglied geredet und diskutiert hätte. Die Worte sprudelten wie von selbst, ich konnte Gott alles sagen, auch die Frage stellen, die mich so lange bewegt hatte: „Gott, warum machst du das?“ Es war so unendlich erleichternd! Es war keine geleckte Kirchensprache, keine gehobelten Worte, ich redete grob und kantig und ließ die Worte aus meinem Herzen fließen, auch den ganzen Ärger, dem ich zu meinem Gott hin Luft machen konnte. Darf der Mensch so mit Gott reden?
Gott redet gerade sehr klar
Am Sonntag Rogate (das ist Latein und heißt „Betet!“) leitet uns ein Bibelwort aus Psalm 66,20: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.“ Vielleicht hätte Gott Grund gehabt, mein Gebet zu verwerfen – aber er tut es nicht. Wie gesagt, ich war ehrlich. Nur wenige Menschen vertragen Ehrlichkeit, viele wenden sich dann ab. Gott nicht. Er verspricht uns, dass er seine Güte nicht von uns wendet. Ihm alles zu sagen heißt für mich: Vertrauen. Vertrauen, dass Gottes Wort mich hält.
Das hatte etwas in mir verändert. Ich hatte mich mit meinem Gott ausgesprochen. Aber es war mehr. Es gibt da ein Geheimnis, das Geheimnis des Heiligen Geistes. Beten ist kein Monolog, sondern ein Dialog. Ich weiß nicht, ob Sie diese Erfahrung kennen, dass während des Betens auf einmal etwas zurückkommt. Mir sind, während ich mit Gott redete, viele Gedanken ins Herz aufgestiegen – einzelne Sätze aus der Bibel, Liedverse, Einsichten –, es kam viel in Fluss, und am Ende war die Summe dessen, was sich da bewegt hatte, wie eine Antwort von meinem Gott, die sich unter dem Wort von Jesus zusammenfassen lässt: „In der Welt habt Ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Gott hört unser Beten. Hören wir Gott auch zu, wenn er antwortet? Ich habe den Eindruck, Gott redet gerade sehr klar. Das Virus zeigt uns Menschen präzise, womit wir nicht weitermachen können. Die Zerstörung der Lebensräume von Pflanzen und Tieren durch uns, die der Grund dafür ist, warum es diese Pandemie als solche überhaupt gibt, darf nicht weitergehen. Und jetzt habe ich auf einmal den Eindruck, dass Menschen zuhören – auch wenn nicht alle darin Gott als Redenden wahrnehmen.
Der kommende Sonntag ermutigt uns: Betet! Und hört dabei zu. Gottes Güte bleibt. Denn Jesus Christus, der die Welt überwunden hat, wird auch das überwinden, was uns Not macht, Dir und mir.
Gerrit Hohage, Pfarrer der evangelischen Bonhoeffergemeinde in Hemsbach
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