Die gemeinnützige Röchling Stiftung aus Mannheim hat jüngst ihren neuen Polyproblem-Report „Kauf Dich frei“ herausgegeben, mit dem sie sich zum wiederholten Mal mit dem Plastikmüll in der Umwelt auseinandersetzt. Sie beleuchtet darin die Chancen und Grenzen sogenannter Plastic Credits: Zertifikate, mit deren Kauf das Sammeln und Verwerten von Kunststoffabfällen, vor allem in Entwicklungsländern, finanziert werden sollen. Der „MM“ sprach mit Stiftungsmanager Uwe Amrhein über Ausgleichsmaßnahmen und mögliche Wege aus der Plastikmüllkrise.
Herr Amrhein, die Röchling Stiftung beschäftigt sich mit der Plastikmüllkrise, das Unternehmen Röchling bringt als kunststoffverarbeitendes Unternehmen selbst Plastik in Umlauf. Man könnte meinen, dass das jetzt nach Greenwashing klingt . . .
Uwe Amrhein: Von Greenwashing sollte man sprechen, wenn ein Unternehmen mit einem kleinen Teil seines Gewinns ein Problem lösen möchte, das es vorher selbst verursacht hat, und dann weiter wirtschaftet wie bisher. Aber wenn das Unternehmen selbst dabei ist, einen nachhaltigeren Weg zu finden, und das durch philanthropische Aktivitäten begleitet, entsteht Glaubwürdigkeit.
Warum setzt die Stiftung nicht ganz bewusst auf Themen, die inhaltlich weiter weg vom dem sind, was das Unternehmen macht?
Amrhein: Das Unternehmen muss im geschäftlichen Bereich nicht etwas total anderes machen als im philanthropischen Bereich. Zudem ist die Röchling-Gruppe gar nicht mit den Kunststoffprodukten beschäftigt, die zu dem globalen Plastikmüllproblem führen. Sie produziert Hochleistungs-Kunststoffteile für die Weiterverarbeitung im industriellen Bereich, für die Medizintechnik und Automobilzulieferung. Ein zweiter Punkt ist: Die Röchling Stiftung agiert vom Unternehmen völlig unabhängig. Wir sind keine Tochter, sondern die gemeinnützige Schwester des Unternehmens.
Gibt es denn so etwas wie guten und schlechten Kunststoff?
Amrhein: Kunststoff ist erstmal ein gutes Material, weil es ganz wesentliche Fortschritte ermöglicht hat, die wir heute in unserem Leben nicht mehr missen möchten. Niemand würde darauf verzichten wollen, in Kunststoff hygienisch verpackte und hergestellte Medizinprodukte zu haben. Wenn Bananen, die von Natur aus perfekt verpackt sind, noch mal in Kunststoff verpackt sind, ist das Unsinn. Schlecht ist nicht der Kunststoff, sondern das, was wir zum Teil damit machen.
Ein Joghurtbecher muss nicht aus 600 chemischen Komponenten bestehen, nur um ihm bestimmte haptische Eigenschaften zu geben.
Wir bräuchten also eine gesetzliche Regulierung, um diesen Umgang mit Plastik zu stoppen?
Amrhein: Die Politik hat das Problem zumindest erkannt und unternimmt Schritte, die an Dynamik zunehmen. Die Mühlen mahlen aber noch zu langsam. Man muss versuchen, stärker einzugreifen und gerade im Verpackungsbereich die unsinnigen Dinge vom Markt zu bringen. Wo das nicht möglich ist, muss dafür gesorgt werden, dass die eingesetzten Kunststoffe besser wiederverwertbar sind.
Kunststoffverpackungen landen doch bereits im gelben Sack und werden großteils recycelt . . .
Amrhein: Wenn Sie die Folie bei einer Packung Käse abziehen, besteht diese aus vielen aufeinanderlaminierten Schichten unterschiedlichen Kunststoffs. Damit ist sie praktisch nicht mehr für das Recycling geeignet, selbst wenn Sie sie zu Hause in den gelben Sack werfen. Die kann nur noch in die Müllverbrennung.
Das wäre dann wohl der „schlechte“ Kunststoff?
Amrhein: Ja, es gibt schlechte Kunststoffe. Nämlich die, die unnötig komplex sind. Wir brauchen eine viel stärkere Initiative hin zu einfacheren Kunststoffprodukten. Ein Joghurtbecher muss nicht aus 600 chemischen Komponenten bestehen, nur um ihm bestimmte haptische Eigenschaften zu geben.
Wie sieht für Sie die ideale Kunststoffwelt aus?
Amrhein: Idealerweise setzen wir Kunststoffprodukte nur dort ein, wo sie tatsächlich notwendig sind, und nicht dort, wo sie am billigsten sind. Beim Thema Kunststoff gibt es drei Handlungsfelder: reduce (vermeiden), reuse (wiederverwerten) und recycle (wiederaufbereiten). Wir behaupten in Deutschland, dass wir Recyclingweltmeister sind und eine Recyclingquote von mehr als 90 Prozent haben. Das Problem ist: Alles was in die Sortieranlage geht, fließt in die Recyclingquote; unabhängig davon, ob es danach wiederverwertbar ist oder verbrannt wird. Verwertet wird nur etwas mehr als die Hälfte, und von dieser Hälfte geht noch der überwiegende Teil in robuste Plastikprodukte wie Mülltonnen und Parkbänke. Das Rezyklat kommt also aus einer relativ hochwertigen Anwendung in seinem zweiten Leben, wenn es überhaupt eins hat, in den sogenannten Downstream.
Das bedeutet, dass wir wieder neuen Plastikmüll produzieren müssen, um eine neue Verpackung herzustellen?
Amrhein: Genau. Das ist ein klassisches Henne-Ei-Problem. Unternehmen, die in diesem Bereich unterwegs sind, suchen händeringend nach hochwertigen Rezyklaten, die sie zu Verpackungen verarbeiten können, bekommen diesen aber nicht von den Recyclern. Die Recycler auf der anderen Seite haben einen wahnsinnigen Überhang an einfachen Rezyklaten. Das führt dazu, dass die anwendende Industrie erdölbasierte Neuwaren einkauft.
Der Stiftungsmanager
Uwe Amrhein ist als Stiftungsmanager bei der Röchling Stiftung tätig.
Zuvor war er Leiter des Generali Zukunftsfonds, Referatsleiter Presse und Information beim hessischen Main-Kinzig-Kreis und Chefredakteur einer lokalen Tageszeitung.
Mit dem Stifter Elmar Pieroth hat er die Stiftung Bürgermut aufgebaut und war fünf Jahre lang geschäftsführender Vorstand sowie im Anschluss ehrenamtlicher Vorstand.
Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements gehört seit Jahren zu seinen Arbeitsschwerpunkten. vg
Die Lösung des Problems wäre die Produktion von mehr Kunststoff, der nicht aus vielen Komponenten besteht, oder?
Amrhein: Das ist nicht die alleinige Lösung, wir können das Problem nicht komplett wegrecyceln. Wir brauchen alle drei Ebenen, auch die Verringerung des Consumer Plastics und das Wiederverwenden im Originalprodukt. Eine Mehrweg-PET-Flasche ist nach sechs- bis siebenmal im Kreislauf ökologisch günstiger als die Mehrweg-Glasflasche.
Wenn man den schlechten Kunststoff vermeiden will, müsste man in den Designprozess der einzelnen Firmen eingreifen?
Amrhein: Es gibt durchaus gesetzliche Initiativen, die dieses Problem adressieren. Vor zwei Jahren ist auf EU-Ebene die sogenannte Plastiksteuer auf die Verwendung von erdölbasierter Neuware eingeführt worden, ähnlich wie die CO2-Steuer.
Ist diese Steuer so hoch, dass sich die Verwendung von Rezyklat lohnt?
Amrhein: Das hängt ein bisschen vom Erdölpreis ab. Meistens ist die Neuware immer noch günstiger als das Rezyklat. Das hat aber mit den Gestehungskosten im Recyclingprozess zu tun. Die petrochemische Industrie produziert gnadenlos billig Kunststoffgranulat aus Erdöl, weil sie sich nicht darum kümmern muss, was nach dem Gebrauch damit passiert.
Eigentlich müssten die Kunststoffproduzenten in ihre Preise mit einkalkulieren, was mit dem Zeug passiert, wenn die Gebrauchsphase des Produkts vorbei ist.
Amrhein: Genau. Wir produzieren massenweise Kunststoff, machen gute Gewinne damit und bürden die Folgekosten der Gesellschaft auf, dem Staat und den Steuerzahlern. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten der erdölbasierten Neuware.
Welchen inhaltlichen Diskurs kann da die Röchling Stiftung geben?
Amrhein: Wir befördern den notwendigen Dialog, indem wir die Akteure aus Industrie, Zivilgesellschaft und Politik an einen Tisch bringen. Wir führen Studien durch oder geben sie in Auftrag. Jedes Jahr machen wir eine große Veranstaltung, den sogenannten Stakeholder-Dialog unter unserem Label Polyproblem. Und als fördernde Stiftung unterstützen wir finanziell zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Projekte, die Lösungen zur Bewältigung des Plastikmüllproblems entwickeln.
Wir können uns nicht alle freikaufen. Ein vermüllter Strand in Ghana lässt sich nicht dadurch ausgleichen, dass sie ein Zertifikat kaufen, für das in Vietnam aufgeräumt wird.
In Ihrem aktuellen Report kommt auch der Friedensnobelpreisträger Mohammad Yunus zum Thema „Ausgleich braucht Gerechtigkeit“ zu Wort. Wie wichtig ist es, dass Sie so herausgehobene Persönlichkeiten für Ihren Report gewinnen?
Amrhein: In dem Essay, das Professor Yunus für den jüngsten Polyproblem-Report geschrieben hat, war uns besonders wichtig, dass wir die sozialen Aspekte des Kunststoffmüllproblems stärker als bisher beleuchten. Im globalen Kontext sind die wahnsinnig relevant und drastisch.
Inwiefern?
Amrhein: In den Ländern des globalen Südens, wo es in vielen Fällen keine geordnete Abfallwirtschaft gibt, entstehen durch Plastikmüll große soziale Probleme. Abgesehen davon, dass verschiedene Wirtschaftsbereiche durch Plastikmüll zusammenbrechen, beispielsweise die Fischerei, fallen Einkommensmöglichkeiten für gesamte Branchen weg. Die Menschen wechseln in den informellen Sektor – ein schreckliches Wort – als Abfallsammler. Die arbeiten unter katastrophalen Bedingungen, was ihre Arbeitssicherheit und ihren sozialen Status angeht. Sie sind ganz unten in der Hierarchie.
In dem Report gehen Sie auch auf Kompensationsmöglichkeiten für den ökologischen Footprint von Unternehmen ein. Ist das Prinzip der Kompensation, also etwa durch den Kauf von Ökozertifikaten, jetzt gut oder schlecht?
Amrhein: Wir können uns nicht alle freikaufen. Ein vermüllter Strand in Ghana lässt sich nicht dadurch ausgleichen, dass sie ein Zertifikat kaufen, für das in Vietnam aufgeräumt wird. Dazu kommen noch verschiedene andere kritische Aspekte, auf die wir bei unserer Recherche gestoßen sind. Es macht einen Unterschied, ob der am Strand aufgesammelte Müll in der Verbrennung landet oder in die Wiederverwertung geht.
Die man unter Umständen in dem Land erst aufbauen muss?
Amrhein: So ist es. Wenn man mit Plastic Credits seinen Plastik-Fußabdruck verringern möchte, geht das schon. Wir müssen dazu einen Finanzierungsmechanismus finden, der dazu führt, dass in den Weltregionen, in denen es keine geordneten Entsorgungswege gibt, welche entstehen. Im Übrigen sollte man nicht mit dem Finger auf die Schwellen- und Entwicklungsländer zeigen. Wir haben in Deutschland auch 30 Jahre gebraucht, um so ein System zu etablieren.
Sind die Unternehmen inzwischen in Sachen Nachhaltigkeit gut unterwegs, oder bleibt es vielfach bei schönen Worten ohne Taten?
Amrhein: Es geht viel zu langsam. Zu Zeit werden jährlich rund 400 Millionen Tonnen Kunststoff weltweit verarbeitet. Im Jahr 2040 werden es 630 bis 650 Millionen Tonnen sein, auch weil der Konsum in den Schwellen- und Entwicklungsländern anzieht. Wenn dieser nachholende Konsum eintritt, wachsen die Abfallwirtschaftssysteme nicht gleichzeitig mit, und unser Problem vergrößert sich. Die pessimistische Prognose ist, dass wir den Höhepunkt der Plastikmüllkrise noch gar nicht erreicht haben. Wir müssen sehr viel schneller werden in der Umsetzung der Maßnahmen.
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