Mannheim. Seit 20 Jahren organisiert das Kulturnetz Mannheim Rhein-Neckar die Reihe „wOrtwechsel – Kultur an außergewöhnlichen Orten“. Peter Baltruschat, Gründungsmitglied des Vereins, erinnert sich an die Anfänge und erklärt, warum er manchmal auch das „Du musst draußenbleiben“ akzeptieren musste, und wie er als Impresario seit der Pandemie umdenken muss.
Herr Baltruschat, auch wir treffen uns heute an einem ungewöhnlichen Ort, um ein paar Worte zu wechseln. Statt in Ihrem Büro haben wir es uns auf der Straße gemütlich gemacht. Welchen Platz in Mannheim schätzen Sie besonders für einen schönen Austausch?
Peter Baltruschat: Wenn ich mit jemandem ein persönliches, ein intensives Wort wechseln möchte, denke ich an den Friedhof.
Himmel! Ausgerechnet der Friedhof. Warum?
Baltruschat: Die Stille hilft, das Gespräch auch innerlich zu vertiefen. Und man ist nicht allein, sondern umgeben von vielen Seelen. Das schafft eine besondere Atmosphäre.
Wie war das, als die Idee zu „wOrtwechsel“ entstand. Stand da auch die Frage im Vordergrund: Wo fühle ich mich wohl, um mit Leuten ein gutes Gespräch zu führen?
Baltruschat: Der Grundgedanke kam damals von Brigitte Mark, die das KulturNetz mitbegründet hat. Sie hatte den Impuls, mit Literatur raus zu gehen, raus aus den üblichen Veranstaltungshäusern. Und so war es eine unserer ersten Ideen, mit einer solchen Veranstaltung auf den Friedhof zu gehen.
wOrtwechsel
Unter dem Titel „wOrtwechsel – Kultur an außergewöhnlichen Orten“ veranstaltet das Kulturnetz Mannheim Rhein-Neckar seit 20 Jahren ein Projekt, das Literatur an besonderen Plätzen ermöglicht. Peter Baltruschat ist der künstlerische Leiter.
In diesem Jahr sind noch vier Veranstaltungen geplant. Am Freitag, 9. September, um 19 Uhr und um 21 Uhr tritt Poetry Slammerin Helene Bockhorst im Wasserturm auf. Eintritt: 16 Euro.
Am Sonntag, 18. September, lädt Kabarettist Arnim Töpel zum Parkgrabfeld des Mannheimer Hauptfriedhofs und widmet sich dem Thema Abschied. Eintritt ist frei.
Hut Konrad in C1, 8 öffnet seine Ladentür am Donnerstag, 6. Oktober. Ab 20 Uhr liest Jens Holzinger aus seinem Regionalkrimi „Dexter im Quadrat“. Er wird musikalisch begleitet von Bernhard Sommer. Eintritt: 16 Euro, inklusive Sektempfang.
Im Cinemaxx steht am Montag, 31. Oktober, und am Freitag, 9. Dezember, die „Rocky Horror Picture Show“ auf dem Programm. Los geht’s jeweils um 23 Uhr. Eintritt: acht Euro.
Am zweiten Advent, Sonntag, 4. Dezember, tritt der Kammerchor der Musikschule Mannheim in der Tiefgarage N 1 auf. Zu hören gibt es klassische Chormusik. Der Eintritt ist frei.
Tickets an allen Vorverkaufsstellen oder unter www.wortwechsel.info. abo
Friedhof ist aber auch eine Tabuzone, verbunden mit Trauer und Schmerz. Wie konnten Sie sicher sein, dass das funktioniert?
Baltruschat: Ich darf sagen, dass wir die Ersten waren, die sich in Mannheim an diese Idee gewagt haben. Sicher sein konnten wir nicht. Denn es bedeutete ja auch, dass wir die Stadt und die Leitung überzeugen mussten. Die erste Veranstaltung dort hieß „Denn alle Lust will Ewigkeit“, und sie hat uns schon eine gewisse Achtsamkeit abverlangt. Ich erinnere mich, dass es ein intensiver Abend war. Alle waren hoch sensibilisiert. Anders als heute. Die Leute hatten viel Respekt vor dem Ort, und das hat der Literatur und der Musik einen besonderen Rahmen gegeben. Das Ganze hatte fast etwas Andächtiges.
Und da gab es niemanden, der das pietätlos fand?
Baltruschat: Wenn es so war, wurde es nie an uns herangetragen.
Was sind denn die Kriterien, die ein Ort erfüllen muss, um für diese Veranstaltungsreihe geeignet zu sein?
Baltruschat: Da bleiben wir ganz bei dem Titel „wOrtwechsel“ – also Wort- und Ortwechsel und „Kultur an außergewöhnlichen Orten“. Was bedeutet: Der Ort muss außergewöhnlich sein. Raus aus der Komfortzone, runter vom Sofa. Wir nehmen für jede Veranstaltung den Titel wortwörtlich: Es gibt das gesungene Wort, das gesprochene Wort, das gerappte Wort, das geslamte Wort und sogar das stumme Wort, das nicht Gesagte.
Letzteres kann ich mir kaum abendfüllend vorstellen.
Baltruschat: Hat aber geklappt. Wir haben damals im alten Rex-Kino, in dem mittlerweile Fotograf Thommy Mardo sein Studio hat, einen Stummfilm gezeigt. Das Ganze wurde am Piano begleitet, und natürlich gab es Untertitel.
Indem man dem Gast abverlangt, die Komfortzone zu verlassen, muss man das ja auch als Veranstalter tun und zum Beispiel auf die bewährte Technik in den Spielstätten verzichten, vieles ausprobieren, immer mit dem Risiko, dass es etwas nicht klappt. Wie oft sind Sie da an Grenzen gestoßen?
Baltruschat: Wenn wir die Zusage hatten, lief auch der Rest. Wir mussten uns nur immer der Örtlichkeit anpassen. Grundsätzlich haben wir versucht, den Raum oder die Umgebung in der Ursprünglichkeit zu belassen und möglichst wenig Technik zu verwenden. An Grenzen sind wir nur dann gestoßen, wenn wir eine Location, die wir gerne bespielt hätten, nicht bekommenhaben.
Welche zum Beispiel?
Baltruschat: Das Wasserwerk ist eine davon. Da gab es lange Verhandlungen, aber letztlich war es aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Trinkwasserversorgung ist ein heikles Thema. Dafür muss man Verständnis haben. Leider werden wir auch nie in die Müllverbrennungsanlage gehen können. Diese riesigen Kräne, die gigantischen Hochöfen, das wäre eine tolle Kulisse, aber da gab es auch zu große Bedenken. Das heißt aber nicht, dass die MVV (Mannheimer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft, Anmk. der Redaktion) uns im Weg stand. Von deren Seite wurden uns andere Spielstätten ermöglicht, unter anderem im Mannheimer Wasserturm.
Ist es nicht auch für Akteure schwierig, sich auf eine doch eher unkontrollierbare Umgebung einzulassen?
Baltruschat: Zumindest ist es eine Herausforderung. Bei einer Fleischeslust-Lesung in der Metzgerei Hauk klopft dann schon mal ein verspäteter Kunde an die Fensterscheibe, oder plötzlich klingelt das Telefon. Damit muss man dann umgehen können. Dadurch fühlt sich jede Veranstaltung an wie eine Premiere. Selbst wenn wir an Orte zurückgekehrt sind: Es war nie gleich.
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Fallen Ihnen spontan noch mehr Pleiten, Pech und Pannen ein?
Baltruschat: Ich erinnere mich an eine Lesung in der Großküche eines Seniorenheims. Damals saßen die Rezitatorinnen auf dem Herd. Wo sollten sie sonst sitzen? Das Thema war Essen. Nach der Veranstaltung fragten sie, wieso das so warm war, und es stellte sich heraus, dass die Platten angestellt war. Niedrig zwar, und es ist auch nichts passiert, aber die Hitzewallung hätte ich den Akteuren gern erspart.
Und was war wohl der außergewöhnlichste Ort?
Baltruschat: Außergewöhnlich und heute undenkbar war die Veranstaltung im OP-Saal des heutigen Diakonissenkrankenhauses. Dort war morgens noch operiert worden, und das Thema lautete „Literatur zum Trösten und Heilen“. Alle Besucher hatten Überzieher über den Schuhen, Häubchen und Kittel an. Die Beleuchtung der Szenerie kam von der OP-Lampe. Man muss wissen, der damalige leitende Professor stammte aus einer Künstlerfamilie und war begeistert von der Idee. In seinem Begrüßungswort erklärte er, dass der OP-Saal im Englischen „operating theatre“ genannt wird. Um damit wussten wir: Wir liegen richtig. Leider wäre das heute spätestens durch Corona nicht mehr möglich.
Was hat Corona noch verändert?
Baltruschat: Vieles. Vorher waren wir oft in kleinen Räumen, wie zum Beispiel in einer Zahnarztpraxis. Da standen wir sehr eng beieinander. Diese Enge gehörte in den Anfängen einfach dazu und ist heute nur noch schwer denkbar. Aber wir passen uns eben der Zeit an und laden jetzt mehr ins Freie ein oder auf weitläufigere Plätze, wie auf das Dach des MVV-Hochhauses oder ins Eisenbahnmuseum in Friedrichsfeld.
Welche Orte haben Sie noch im Kopf, wo möchten Sie noch mit der Veranstaltung landen?
Baltruschat: Wir mussten bisher nie lange überlegen. Die Orte kommen zu uns. Oft sind es die Gäste, die uns auf einen besonderen Ort aufmerksam machen. So war es beim Eisenbahnmuseum, aber auch beim Aufzugmuseum. Das Ganze entsteht wie im Buch von Janosch: Man geht in den Wald Pilze finden – nicht suchen.
Ist das die Zukunft der Kultur? Je abgefahrener, desto besser?
Baltruschat: In diesen Zeiten lässt sich kein Trend erkennen. Es geht jetzt darum, die Menschen wieder an Kultur heranzuführen. Die Lust wegzugehen, Kultur live zu erleben, wurde zum Teil verlernt. Wenn „wOrtwechsel“ dazu beitragen kann, die Menschen wieder herauszulocken, dann werden wir das intensivieren. Aber das lässt sich nicht vorhersagen. Bisher laufen die Veranstaltungen in diesem Jahr super. Die Leute sind diszipliniert, kommen mit Maske und sind mit Begeisterung dabei.
Ab Oktober sollen wieder neue Regeln gelten, macht Sie das als Kulturschaffender ängstlich?
Baltruscht: Wenn ich daran denke, kann ich eine gewisse Sorge nicht leugnen, aber ich vertraue weiterhin auf unseren Slogan „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Für den Herbst wünsche ich mir klare Ansagen der Politik und mehr Eigenverantwortung.
20 Jahre „wOrtwechsel“ haben Sie hinter sich. Was braucht es, um weitere 20 Jahre dranzuhängen?
Baltruschat: Das ist eine wichtige Frage – denn jetzt geht’s ums Geld. Es braucht Partner, wie wir sie bisher immer finden konnten. Sei es, dass sie uns außergewöhnliche Räumlichkeiten zur Verfügung stellen oder auch die Gagen für die Künstler übernehmen. Und natürlich brauchen wir das Publikum. Aber da können wir uns nicht beschweren, das war bisher immer da.
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