Demonstration am Samstag

Wie Mannheim für einen schwulen Iraner zum Zufluchtsort wurde

Mehran erzählt, warum er am Samstag auf dem Marktplatz demonstriert - und warum ihn die Sittenregeln aus seinem Heimatland auch hier noch lange nicht loslassen

Von 
Lea Seethaler
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Das Plakatmotiv, mit dem Frauen Leben Freiheit Rhein-Neckar die Demo angekündigt hat. © Frauen leben Freiheit RN

Mehran spricht am Telefon gewählt. Sein Englisch ist gut. „Meine Familie hasst mich, weil ich queer bin“, sagt er. „Schwul sein und Islam, das geht nicht. Mein Vater, mein Bruder und mein Onkel, die sind hinter mir her. Mein Onkel ist ein mächtiger Mann im Iran. Die haben gesagt: Wir finden dich. Wir kommen und wir holen dich. Wir bringen dich zurück in den Iran.“

Aspekt „Freiheit“ eint die Demos

Mehran lebt seit 1. Februar in Mannheim. Er hat weiter Angst. Zu seinem Schutz haben wir seinen Namen geändert. „Ich habe Ingenieurwissenschaften im Iran studiert. Ich hatte nur beste Noten“, erzählt er weiter. „Wissen Sie, im Iran gibt es so viele gute Leute, aber weil sie queer sind, schwul, bi oder sonst was, fliegen sie einfach nach einer Woche raus aus der Arbeit.“ Und nicht nur das: Homosexualität ist im Iran illegal und kann mit der Todesstrafe bestraft werden.

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Mehran gelang die Flucht. Freunde halfen ihm, durch sie kam er nach Mannheim. Unter anderem über Ungarn. „Erst dachte ich: Europa, die sind LGBTIQ-freundlich.“ In Ungarn wurde er dann eines Besseren belehrt, nachdem er sich im Land umgesehen hatte. Schnell war er wieder weg, schildert er. „Ungarn ist wie Iran“, vergleicht Mehran die Situation von queeren Menschen dort mit der in seinem Heimatland.

Sittenpolizei auf den Fersen

Mehran wirkt aktiv. Er sprudelt nur so beim Reden. „Ich lerne gerade an der Abendakademie Deutsch“, sagt er. Nach Kursende will er so schnell es geht weiter studieren, erzählt der junge Mann. Doch nun wird er auch noch auf einer weiteren Ebene aktiv. Er engagiert sich in einer queeren Geflüchtetengruppe, bei den „Rainbow Refugees“ in Mannheim - und organisiert mit ihr sowie mit vielen anderen Bündnissen und Vereinen aus der Region am Samstag eine Demo in der Stadt. Das Motto ist wie bei allen anderen aktuellen Iran-Protesten: „Frauen, Leben, Freiheit“. Mehran sagt: „Bei ,Frauen, Leben Freiheit’ geht es nicht nur um Frauen.“ Denn der Aspekt „Freiheit“ betreffe so viele. „Wir solidarisieren uns deshalb. Wir haben alle keine Wahl im Iran. Wir können etwa unsere Religion nicht frei wählen“, im Iran unterdrücke der Islam die Frauen und die queeren Menschen, sagt er. „Ob es um das Kopftuch oder andere Unterdrückung geht - alles dasselbe“, sagt er. Er beschreibt: „Wenn du Alkohol trinkst, gibt es eine Strafe. Die nehmen dich mit. Du kommst ins Gefängnis. Und wenn du das drei Mal machst, drei Mal Alkohol trinkst, und sie dich erwischen, bist du tot. Du wirst getötet.“

Demo am 29. Oktober auf dem Mannheimer Marktplatz

Die Initiative „Frauen Leben Freiheit Rhein-Neckar“ will Solidarität aus der Region zeigen – und „dass die Menschen hier etwas bewirken können“, so die Veranstalter der gleichnamigen Solidaritätskundgebung. Sie findet am Samstag, 29. Oktober, von 16.30 bis 18.30 Uhr auf dem Marktplatz statt.

Hinter dem Bündnis stehen die Initiative Dorfpride, das Queere Zentrum Mannheim und PLUS (Psychologische Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar) und die dort aktiven queeren Geflüchteten der Gruppen Rainbow Refugees und Bunte Frauen sowie Einzelpersonen aus der queeren Community.

„Die aktuelle Situation im Iran bewegt die queeren geflüchteten Menschen, mit denen wir arbeiten, sehr. Erst die Verurteilung der zwei lesbischen Frauen Zahra Sadiqi Hamedani und Elham Choudbar zur Todesstrafe, dann der brutale Tod von Jina Mahsa Amini“, so Kristin Pelzer von PLUS. Die Geflüchteten hier müssten aus der Ferne miterleben, wie ihre Freundinnen, Freunde und Familie „im Iran gefangengenommen und sogar getötet werden, während sie hier in Deutschland oft selbst noch in der ständigen Angst leben müssen, wieder abgeschoben zu werden“.

Die Initiative ruft außerdem zum Unterzeichnen eines Offenen Briefs auf, der die politischen Forderungen der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help aufgreift. Darin geht es unter anderem um einen Abschiebestopp iranischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger oder erleichterte Einreisebedingungen.

„Öffentliche Aufmerksamkeit kann in der jetzigen Situation viel bewegen“, sagt Mitinitiatorin Anahita Azizi aus Mannheim. „Danke an alle, die diesen Weg mit uns gehen. Zeigen wir dem Mullah-Regime, dass sein Vorgehen verurteilt wird!“ see

Und hat Mehran selbst Gewalt erfahren oder war inhaftiert? „Nicht direkt“, sagt der Geflüchtete. „Wenn ich mit meinen Freunden im Auto rumgefahren bin, war immer sofort Polizei da. Die hat dann gesagt: Warum hört ihr diese Musik? Oder wenn wir Make-up getragen haben: Warum tragt ihr Make-up? Die Sittenpolizei ist überall.“ Mehran sagt: „Ich habe hier auch einige schlechte Erfahrungen gemacht.“ In Mannheim etwa sei er von anderen Männern in der Flüchtlingsunterkunft schief angesehen worden. Er sei dann gefragt worden: „Was soll das, warum fastest du nicht? Warum isst du Schweinefleisch? Warum trinkst du, es ist Ramadan?“ Mehran sagt: „Aber ich bin eben kein Muslim. Also faste ich auch nicht. Ich hab mich weiter verfolgt gefühlt.“ Und er ergänzt: „Und wenn die von der Familie dauernd sagen: Wir finden dich, wir verfolgen dich. Und dann noch das. Da hab’ ich irgendwann gedacht: Ich bringe mich um, ich bringe mich in Deutschland um, ich kann das nicht mehr. Ich hab’ einfach so eine Angst, dass sie kommen.“

Sozialarbeiterin hilft

Mehran schildert daraufhin seiner Sozialarbeiterin vor Ort die Problematik. Er wird in eine andere Unterkunft in Mannheim verlegt. Hier fühlt er sich wohl, sagt er. „Ich habe sehr viel Unterstützung erfahren, vor allem der Verein PLUS hat mir sehr geholfen“, sagt Mehran. Er habe allgemein „großartigen Schutz“ in der Stadt erfahren. Über Deutschland und besonders Mannheim sagt er: „Hier kannst du sein, wie du willst, deine Lieblingsklamotten tragen, einfach du selbst sein.“

Kontakt zur Mutter

Wenn er über Mannheim spricht, sein Netzwerk und neue Freunde, dann klingt seine Stimme anders. Irgendwie erleichtert und freier. Wenn er über den Iran spricht, flüstert er fast, während er aus der Straßenbahn am Telefon spricht. Dann wiederholt er Sätze wie: „Das müssen Sie sich mal vorstellen. Ja, so ist es dort. Es klingt furchtbar, aber es ist wahr.“ Mit seiner Mutter telefoniert er manchmal, seit er in Deutschland ist, sagt er. Es ist einer von wenigen gebliebenen Kontakten - zur Familie und zu dem Land, vor dem er floh.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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