Soziales

Wie in Würde und Vielfalt queer in Mannheim altern?: „Das Verstecken gehört zu uns"

Fotos seiner lesbischen Beziehung im Wohnzimmer umdrehen, wenn der Pflegedienst kommt? Eine neue Publikation blickt auf queere Bedürfnisse im Alter - mit überraschenden Vorschlägen.

Von 
Lea Seethaler
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Eine Regenbogenfahne am Mannheimer Rathaus. © Lea Seethaler

Fotos von der lesbischen Beziehung im Wohnzimmer umdrehen, wenn der Pflegedienst kommt? „Queere Menschen gibt es in jedem Alter“, sagt Mannheims LSBTI-Beauftragte Margret Göth. Sichtbar sind im Alltag aber nicht alle. Doch gerade queere Menschen haben im Alter besondere Bedürfnisse. Die seien auch historisch bedingt, wie Göth beschreibt. „Die, die jetzt 80 oder 90 sind, wurden noch strafrechtlich verfolgt.“ Etwa unter Paragraf 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, oder im Nationalsozialismus. „Wir sind es gewohnt, uns zu verstecken“, sagt Klaus Schirdewahn, der sich als Zuschauer zur Pressekonferenz eingefunden hat. Er selbst litt unter Paragraf 175 und ist Leiter der hiesigen schwulen Seniorengruppe Gay and Grey. „Wenn wir die Treffen machen, sagen viele Männer: ,Oh, bitte nicht ins Café, lasst uns irgendwo daheim hin.’“

Einsam, queer und alt?

Oft war es also ein Leben, das sich ums Verstecken drehte. Oder ein Kampf ums Überleben. Angela Jäger aus dem Vorstand des Psychologischen Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar hat einen Beitrag verfasst, der das im historischen Verlauf genauer beschreibt. Daraus geht auch hervor, dass die Generation, die jetzt 60 ist, den Diskurs zur Aids-Epidemie miterlebt hat. Nicht spurlos ging dieser vorüber. Zudem erlebten sie das Transsexuellengesetz. Wer heute 70 ist, bekam wiederum die „beginnende Emanzipation“ und das Gründen von Stellvertretungen hautnah mit.

Wer kümmert sich um mich?

Jens Hildebrandt, Fachbereichsleiter Arbeit und Soziales der Stadt, sagt bei der Vorstellung der neuen „Dokumentation Queere Vielfalt im Alter“: „Zu unserer Fragestellung im Fachbereich zählt Grundsicherung genauso wie Fragen rund um das Altwerden.“ Die Leitfrage sei: „Wie schaffen wir es, ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, das auf die Teilhaberechte aller eingeht.“ Er fügt hinzu: „Ich will, dass meine Mitarbeiterschaft eine Offenheit entwickelt.“ Etwa, wenn sich jemand mit queeren Bedarfen an sie wende. „Und ich will, dass Angebote sichtbar werden. Wir haben zum Beispiel über ein Siegel diskutiert, das Offenheit signalisiert.“ In den Niederlanden oder in Berlin gibt es solche bereits. In Mannheim ist genau ein ambulanter Pflegedienst mit dem Siegel „Lebensort Vielfalt“ als Anbieter mit Fachkompetenz für Belange queerer Menschen zertifiziert, so die Stadt. In der gesamten Region sei das aber „eher eine Seltenheit“. „Viele Lesben wollen etwa nicht von Männern gepflegt werden“, erläutert Diplom-Psychologin Margret Göth. Auch Transpersonen wünschten sich eine Umgebung, in der jemand nicht geschockt oder abwertend reagiert oder sie anderweitig diskriminiert, wenn er sie pflegt. Wie die Verwaltung in ihrer Vorlage für den Gemeinderat schreibt, berichten queere Menschen von „hohem Unbehagen“ gegenüber regulären Angeboten der Pflege und Betreuung „aufgrund des großen Unwissens zu homosexuellen und trans Lebenswelten unter Fachkräften“.

Dabei geht es bei der Thematik um mehr als direkte Kontakte beim Pflegen und Gepflegt-Werden. Großes Thema ist etwa die Betreuungsvollmacht. Die Frage „Wenn ich mal nicht mehr kann, wer kümmert sich um mich, wer ist es denn bei mir, wenn ich nicht abgesichert durch die traditionelle Familie bin, auf die viele Versorgungssysteme ausgerichtet sind?“ treibe queere Menschen anders um, beschreibt Sabine Berger vom Lesbenstammtisch Mannheim. Aus eigener Erfahrung im Umfeld mit Demenz habe sie sich mit dem Thema beschäftigt.

Ungünstig: Isolation und Armut

„In den Quartieren müssen wir anfangen“, resümiert indes Hildebrandt. „Hier fühlen sich die Menschen wohl. Haben ihr Zuhause. Doch wenn es Abhängigkeitsstrukturen gibt, etwa, wenn sie dement werden“, oder wenn Leute einsam und zusätzlich von Armut betroffen seien, dann werde es schwierig. Denn dann folge mehr Isolation. Wer queer ist und Kontakte eher meide, auch aus Angst vor Ausgrenzung, sei da noch stärker betroffen.

Regenbogen-Senioren-WG

Zu einer Exkursion nach Berlin aufgemacht haben sich derweil kürzlich Vertreter der Stadt, der Awo, des ASB, des Seniorenrats und der queeren Community. Das Ziel: Best-Practise, Inspiration und positive Beispiele für gutes queeres Leben im Alter einholen. Sabine Berger war dabei und sagt: „Mannheim muss sich nicht verstecken.“

In Berlin gebe es etwa erfolgreiche queere Wohnprojekte auch mit Demenzschwerpunkt. „Das Angebot wird extrem nachgefragt. Es gibt Wartelisten, da sind 500 Personen drauf.“ Margret Göth sagt, dass man sich so etwas auch in Mannheim vorstellen könne. Förderbedarf wird in der Broschüre zur Dokumentation „Queere Vielfalt im Alter“ aufgezeigt. „Denn viele Förderangebote, auch vom Land, beziehen sich leider auf heteronormative Familienbilder“, sagt Berger. Göth ruft derweil explizit „Menschen, Einrichtungen, Träger in Mannheim“ auf, die sich gerne in irgendeiner Form an den vielfältigen, neu zu schaffenden Formen des queeren Lebens im Alter beteiligen wollen.

Auf die Nachfrage, ob sich nicht Menschen vielleicht wundern würden, dass jetzt „etwas Besonderes“ für queere Menschen erschaffen würde, sagt Sabine Berger vom Lesbenstammtisch: „Das ist ja wie bei der Frauenbewegung, das kommt allen zu Gute. Wir sind ja für etwas, nicht gegen etwas. Wir wollen etwas für die Bedarfe der Menschen schaffen, wir schließen niemanden aus.“ Göth ergänzt: „Vielleicht gibt es auch Gemeinsamkeiten.“ Etwa, dass lesbische Frauen nicht von Männern gepflegt werden wollen, sagt sie. „Vielleicht ist das bei anderen Frauen auch so.“ Eine im Unternehmen von oben gelebte Vielfalt könnte zudem auch neue Fachkräfte anziehen und so etwas gegen den großen Mangel tun, heißt es in der Broschüre.

Starke Stimme für Ältere

Auch Hildebrandt hält fest: „Wir wollen ein starke Stimme für Ältere sein.“ Das bedeute für alle Älteren. Er betont, dass das heißt, „gemeinsam gesellschaftlich individuelle Bedürfnisse zu respektieren. Und individuell heißt, respektieren, egal, welche sexuelle Orientierung jemand hat, dass er sie zum Ausdruck bringen kann“.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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