Migrationsstadt Mannheim

Wie ein Chor Mannheim und die Ukraine verbindet

Viktoriia Khaievska kommt aus der Ukraine. Sie lebt schon lange in Mannheim, als Russland ihre Heimat angreift. Hier findet die Musikerin einen Weg, wie sie den Menschen aus der Ukraine helfen kann

Von 
Eva Baumgartner
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Viktoria Khaievska (r.) möchte mit dem Chor „Rushnyk“ gezeigt werden, den sie leitet. Hier singen Menschen aus Deutschland und der Ukraine zusammen. © Valeriia Rubinina

Mannheim. Viktoriia Khaievska kommt 2008 nach Deutschland. Sie ist 26 Jahre alt, als sie Mariupol in der Ukraine in Richtung Mannheim verlässt. „Ich habe hier Verwandte, deshalb bin ich gekommen“, sagt sie. Sie kann sich in Deutschland eine bessere Perspektive als Musikerin vorstellen - damals ist der Krieg, der jetzt in ihrer Heimat herrscht, noch weit weg.

„Die Perspektiven als Musikerin waren damals in Mariupol nicht so gut, entweder ging es einem gut oder ganz schlecht.“ Ihr Vater stirbt früh - ein Grund, weshalb sie schon jung eine Kämpferin gewesen sei. Deshalb bringt sie auch ihre Mutter mit, als sie nach Deutschland kommt.

Viktoriia Khaievska studiert Musik in Mariupol

Ihre musikalische Ausbildung beginnt sie 1990 an der Staatlichen Musikschule in Mariupol, studiert dann von 1996 bis 2002 an der Musikhochschule Klavier, Gesang und Saxofon. Später unterrichtet sie an der dortigen Musikfachschule für Wunderkinder in den Fächern Klavier, Gesang, Saxofon, Musiktheorie, Solfeggio, Chorleitung und Dirigieren.

Migrationsstadt Mannheim

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„Mein Wunsch war, auch ein Studium in Deutschland abzuschließen, aber für die Musikhochschule war ich zu alt.“ Am Nationaltheater bewirbt sie sich für den Extrachor, macht parallel dazu Deutschkurse an der Abendakademie: „Ich wurde wirklich ins kalte Wasser geworfen“, sagte sie. Schnell darf sie sogar Solistinnen und Solisten am Nationaltheater in verschiedenen Stücken begleiten. Sie komponiert auch, ist zudem Illustratorin und Konzertmeisterin sowie Chorleiterin.

Seit 2021 leitet Viktoriia Khaievska den „Einsteigen!-Chor“ der Mannheimer Liedertafel. Und vor einem Jahr startet sie in ein neues Projekt: „Das fing als Frauen-Empowerment-Projekt der Arbeiterwohlfahrt an“, erklärt sie. Geflüchtete Frauen und Mädchen aus der Ukraine sollten in Kooperation mit der Mannheimer Liedertafel, dem ältesten Chor Mannheims, einen Raum finden, in dem sie sich zusammen mit Mannheimerinnen beim Singen auf Augenhöhe begegnen - ohne dass Sprache dabei wichtig ist. Das Konzept hat Erfolg.

Traditionelle Tücher geben Mannheimer Chor den Namen

Der Chor, der so entsteht, heißt „Rushnyk“. Der Name geht auf traditionell ukrainische und handbestickte Tücher oder Decken zurück: „Glücksbringer, die dort bei wichtigen Feiern wie Geburten oder Hochzeiten verschenkt werden“, sagt Viktoriia Khaievska. Die Deckchen stünden für Leben und Gesundheit. „Vor dem Krieg gab es diese Stickereien in fast jeder Familie.“

Anfangs, berichtet Khaievska, seien es acht Personen im Chor gewesen: „Jetzt sind wir 25. Und die Leute sind wirklich motiviert.“ Viele Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet seien, hätten Depressionen: „Wir machen aber etwas Schönes für die Seele, die Menschen haben ein Ziel.“ Und in den Pausen, bei Knabbereien und Getränken, können sie über ihre Probleme erzählen. Eigentlich haben die Ukrainerinnen zwei Muttersprachen, ukrainisch und russisch: „Aber manche sind so verletzt, dass sie vermeiden, russisch zu sprechen.“

Musik, Ballett, all das hat nichts mit dem Krieg zu tun.
Viktoriia Khaievska

Auf russische Musik möchte Viktoriia Khaievska trotzdem nicht verzichten: „Musik, Ballett, all das hat nichts mit dem Krieg zu tun.“ Gesungen wird jedoch entweder ukrainisch oder deutsch: Und Viktoriia Khaievska schreibt alle Strophen mit lateinischen Buchstaben ab: „Am Anfang war es schwer für die Deutschen.“

Aber am Ende profitieren schließlich beide Seiten vom Lerneffekt: „Und bei uns ist es immer lustig und frech“, lacht die Leiterin. Inzwischen hat der Frauenchor sogar männlichen Zuwachs bekommen: „Das war der Wunsch der Frauen. Wir sind inzwischen eine richtige Familie geworden“, freut sich Viktoriia Khaievska. Die Altersspanne reiche von 14 bis 60. Auch ihr Sohn ist dabei, er sorgt für den Rhythmus.

Chor in Mannheim: Sängerinnen und Sänger willkommen

Los gehen die Proben immer mit dem Warmmachen, mit Atemübungen, Zischlauten oder lauten Rufen. Dann startet der Chor mit einem stimmgewaltigen „Ameno“, bevor das deutsche „Verleih uns Frieden gnädiglich“ folgt. Dann erklingt ein Lied, das Gänsehaut erzeugt: „Dieses ukrainische Stück ist uralt, aber ich wollte etwas, das die ukrainische Seele zeigt“, sagt die Chorleiterin.

Sie hat hier zusätzlich noch etwas dazu komponiert: „Das macht es magischer“, lächelt sie, bevor der Chor mit einem tiefen Summen beginnt, das stark und mächtig wird - es ist einzigartig, wie die Chorleiterin.

Wer mitsingen möchte, ist in den Proben willkommen: immer donnerstags, 17 bis 18.15 Uhr, im Probensaal der Mannheimer Liedertafel (K 2, 31). Anmeldungen bei Viktoriia Khaievska (Tel.: 0176/61542960, Mail: khaievska@gmail.com) oder der Awo (Tel.: 0621/33819740, Mail: ehrenamt@awo-mannheim.de). Das Angebot ist kostenlos.

Redaktion Eva Baumgartner gehört zur Lokalredaktion Mannheim.

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