Hightech-Medizin

Wie das Mannheimer Klinikum Roboter im OP-Saal einsetzt

Für manche mag es wie eine Horrorversion klingen, doch die betroffenen Patienten sind offenbar begeistert: Bei bestimmten Operationen setzt man in der Mannheimer Universitätsmedizin zunehmend auf Roboter-Hilfe

Von 
Steffen Mack
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Der Da-Vinci-Roboter bei einer Harnblasenoperation im Klinikum. Seine vier weißen Arme sind in steriler Folie verpackt. © Michael Ruffler

Mannheim. Der nackte Bauch fällt erst nach einigen Minuten auf. Bis dahin richten sich die Blicke in diesem Hightech-Operationssaal auf all die digitalen Instrumente und Monitore, insbesondere auf vier weiße, etwa eineinhalb Meter lange und an mehreren Stellen abwinkelbare Roboterarme. Sie erinnern an die Tentakel eines Tintenfischs. Steril umschlossen mit durchsichtiger Folie, stoßen sie immer wieder von oben nach unten in jene nackte Wölbung auf dem Operationstisch.

Bis auf den Bauch und den Penis ist alles an dem Patienten, ein 70-Jähriger unter Vollnarkose, abgedeckt. Er leidet unter Blasenkrebs und bekommt nun die Harnblase entfernt. Und zwar von einem Robotersystem, das Da Vinci heißt und auf das sie im Mannheimer Universitätsklinikum sehr stolz sind.

Urologie Chefarzt Michel: „Es bin immer noch ich, der operiert“

„Eigentlich ist die Bezeichnung ,Operations-Roboter’ irreführend“, sagt Maurice Stephan Michel, Chefarzt und Klinik-Direktor für Urologie. „Denn er macht nichts selbstständig. Es bin immer noch ich, der operiert. Allerdings, indem ich die Arme des Roboters lenke.“

Für Jugendliche, die gern an Konsolen daddeln, wäre das wohl der Olymp. Man sieht gestochen scharf dreidimensional durch zwei Öffnungen, für jedes Auge eines, in den Bauch. Es ist quasi, als wäre man mit der Nase direkt an der Harnblase. Nur riecht man natürlich nichts.

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Seitlich sind zwei Schlaufen, mit denen Michel die vier Roboterarme steuern kann. Mit Fußpedalen lässt sich zwischen ihnen wechseln. Oder man operiert zu zweit, eine weitere Steuerungseinheit steht daneben. Die wird gerade von Michels Stellvertreter Patrick Honeck bedient, dem verantwortlichen Operateur bei diesem laufenden Eingriff.

Die Urologen - beziehungsweise die Roboterarme - arbeiten mit Scheren und kleinen Zangen, entfernen Fettgewebe, verschließen zwischendurch Blutgefäße. In der eineinhalb bis zwei Stunden dauernden Operation wird die Harnblase entfernt und durch ein sogenanntes Urostoma ersetzt, einen künstlichen Blasenausgang. Der Harnleiter führt dann über die Bauchdecke in einen Beutel. Je nach Diagnose und Wünschen des Patienten wäre es stattdessen aber auch möglich, aus Teilen der entfernten Harnblase eine neue zu formen.

So sehen der Ober- und der Chefarzt den Eingriff, sie steuern den Roboter. © Michael Ruffler

„Mit dem Da-Vinci-System führen wir hier pro Jahr 450 bis 500 Operationen an Patienten mit Prostatakrebs durch. Bei Tumoren an den Nieren sind es rund 200 pro Jahr“, berichtet Michel. Damit sei die Mannheimer Urologie auf dem vorderen Platz in der Region. Auch in anderen Bereichen werde der Roboter zunehmend genutzt. Vor allem in der Gynäkologie und in der Chirurgie, dort sogar für Kinder.

Allerdings gehe das nur bei über Zehnjährigen, für jüngere seien die Roboterarme zu groß, sagt Michael Boettcher, Klinikdirektor für Kinder- und Jugendchirurgie. Er und Benjamin Tuschy, dem stellvertretenden Leiter der Frauenklinik, sind zum Treffen mit dem „Mannheimer Morgen“ im Operationssaal mitgekommen. Beide schwärmen von extremen Vorteilen, die sich mit Da Vinci böten.

Patienten können deutlich früher wieder nach Hause

Eingesetzt wird das System bei minimalinvasiven Eingriffen, bei denen so wenig wie möglich aufgeschnitten wird. Hier sind die Roboterarme weitaus präziser als die menschliche Hand. Das bedeutet auch ein geringeres Risiko. Zudem könnten die Patienten wegen der weniger schweren Verletzungen auch deutlich früher wieder nach Hause, sagt Michel. „Nach einer Blasen-OP musste man früher etwa drei Wochen im Krankenhaus bleiben, mit Da Vinci sind es nur zehn bis zwölf Tage.“

Thema bei Vortrag am Dienstag, 30. Juli

  • „Medizin für Mannheim, die Vortragsreihe im Klinikum, befasst sich in ihrer nächsten Folge mit neuen Hightech-Möglichkeiten.
  • Der Titel lautet diesmal: „Schonend operieren mit dem Roboter: Vom kleinsten Eingriff bis zur großen Tumor-OP!“
  • Beginn ist am Dienstag, 30. Juli, um 18 Uhr, im Großen Hörsaal (Haus 6, Ebene 4, Haupteingang am Neckar). Der Eintritt ist frei.
  • Was dabei erklärt werden soll, stellt Urologie-Chefarzt Maurice Stephan Michel in einem Video vor. Direkter Link: www.is.gd/jaE90u.
  • Von der voraussichtlich eineinhalbstündigen Veranstaltung ist auch ein Livestream geplant. Der Link dazu: www.medizin-fuer-mannheim.de

Ein Patient, der anonym bleiben will, berichtet später auf der Station über seine Erfahrung mit dem System. Er komme aus dem Raum Schwäbisch-Hall, so der 59-Jährige. Dort habe er aus seinem Bekanntenkreis von der in Mannheim genutzten Roboter-Methode erfahren. Er sei sehr technikaffin und gleich interessiert gewesen. Ein Besuch im Klinikum habe ihm den Eindruck vermittelt: „Hier bin ich in sehr guten Händen!“ Keine zwei Monate später sei er schon operiert worden, sagt der Kassenpatient. Nach der „niederschmetternden Diagnose“ Blasenkrebs habe er mit seiner neuen Blase nun Hoffnung auf wieder höhere Lebensqualität. Michel versichert allerdings auch: „Selbstverständlich wird niemand gegen seinen Willen mit Da Vinci operiert.“ Die Patienten seien aber vielmehr alle begeistert, wenn sie von den Vorteilen hörten. „Eine negative Reaktion habe ich noch nie erlebt.“

1,6 Millionen bis zwei Millionen Euro koste das System in der Anschaffung, so der Urologie-Chef. Hinzu kämen weitere Kosten für die benötigten Operationsinstrumente.

Auch das Hector-Krebsinstitut ist in die Auswertung eingebunden

Der technisch sauberere Begriff als Roboter ist übrigens „Telemanipulator“. Aber das klingt eher nach jemandem, der - aus welchen Gründen auch immer - das Fernsehprogramm negativ beeinflusst. Daher sprechen sie auch im Klinikum lieber von Robotern. Deren Einsätzen im Operationssaal widmen sie die nächste Folge ihrer Vortragsreihe „Medizin für Mannheim“ am Dienstag (siehe Infobox).

Selbstverständlich werden die Erfahrungen wissenschaftlich ausgewertet. So vor Ort vom Hector-Institut, einer Außenstelle des Deutschen Krebsforschungszentrums aus Heidelberg. Damit ist ein etwa zehnköpfiges Team betraut, das Karl-Friedrich Kowalewski leitet. Der Urologie-Oberarzt traut sich auch eine Prognose auf die Frage zu, wann Roboter mit Hilfe künstlicher Intelligenz wohl tatsächlich auf eigene Faust Operationen ausführen: „Ich schätze mal, in 20 Jahren.“

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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