Diskussion

Was Mannheimer Wissenschaftler zur möglichen Koalition sagen

Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen haben in der Aula der Universität Mannheim darüber diskutiert, wie es nach der Bundestagswahl weitergeht.

Von 
Valerie Gerards
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Mannheimer Wissenschaft­ler unter­schiedlicher Fach­richtungen in der öffentlichen Podiumsdiskussion zum Thema: „Koalitionen und Konjunktur – Politische und wirtschaft­liche Weichenstellungen nach der Wahl“. © Valerie Gerards

Mannheim. In einer Podiumsdiskussion haben Mannheimer Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen am Mittwoch in der Aula der Universität über die politischen und wirtschaftlichen Weichenstellungen nach der Bundestagswahl diskutiert. Vor rund 200 Besuchern ging es um die großen Herausforderungen für die noch zu bildende Koalition.

„Können Sie sich noch an die soliden, ruhigen Zeiten des sogenannten Zweieinhalb-Parteien-Systems erinnern, mit zwei dominanten Parteien und der FDP als Königsmacher in der Mitte?“, fragte Moderator Rüdiger Schmitt-Beck. Seither habe die Zersplitterung des Parteiensystems zugenommen. Im Bundestag seien nun fünf Parteien vertreten, von denen keine mehr als 30 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können. Es gebe daher weniger Möglichkeiten der Koalitionsbildung als noch zuvor gedacht. „Doch wie sicher ist schwarz-rot wirklich?“, wollte Schmitt-Beck von Thomas Bräuninger wissen.

Eine große Koalition sei das wahrscheinlichste Szenario, antwortete der Experte für Koalitionspolitik. Prinzipiell seien auch Minderheitsregierungen denkbar, die in Deutschland jedoch ungewöhnlich seien – für eine Bundesregierung könne die Öffentlichkeit sich das nicht vorstellen.

Wird die AfD doch eine Option für die Union werden?

Rechnerisch gebe es auch andere Möglichkeiten – außer Union und AfD, was die Union ausgeschlossen hat. Doch CDU/CSU und SPD seien eine Mehrheit, die kleinste vorstellbare Koalition und somit das Plausibelste. Ein weiterer Faktor sei die inhaltliche Übereinstimmung: Die Union sei weiter von der AfD entfernt als von der SPD. Dennoch seien in einer großen Koalition Spannungen erwartbar, da die Parteien in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik weit voneinander entfernt seien.

Spannend sei der Blick auf die Verhandlungen. „Die Karten sind sehr ungleich verteilt“, sagte Bräuninger. Die SPD sei in der stärkeren Position, sie könne in die Opposition gehen und der Union viele Zugeständnisse abpressen. „Mit der AfD – hat die Union versprochen – macht sie es nicht. Ob es irgendwann mal noch eine Option wird, ist eine andere Frage. Ich bin sicher, wir werden in den nächsten Wochen von einer CDU-Hinterbank hören, man sollte die AfD-Option mal bedenken.“

Thomas König blickte auf den Bundeswahlkampf zurück. Es habe eine Vereinbarung unter den Parteien gegeben, nicht die Migrationsfrage in den Vordergrund zu stellen, weil man um die Auswirkungen gewusst habe. „Von allen etablierten Parteien hat sich der Wahlkampf aber doch sehr stark an der Migrationsfrage festgemacht, so dass genau das passiert ist, was man vorher schon wusste: Nämlich, dass die extremistischen Parteien davon profitieren werden“, sagte er.

König sieht ein großes Misstrauen der SPD gegenüber Merz’ Führungsstil

Der Politikwissenschaftler blickte auf die Entscheidung der SPD, nach der Bundestagswahl 2021 keine neue Koalition mit der Union einzugehen. Die Partnerschaft wollte man nicht erneuern; die negative Erfahrung habe, ähnlich wie bei einer Scheidung, dazu geführt, dass man nicht nochmal mit demselben Partner zusammenarbeiten wollte: „Es muss viel passieren, dass die mit SPD und CDU jetzt nach drei Jahren klappt.“ König zeigte sich skeptisch, ob die Parteien es schaffen werden, sich auf Kompromisse zu einigen. Er sehe ein großes Misstrauen innerhalb der SPD gegenüber dem Führungsstil von Friedrich Merz.

Davud Rostam-Afschar betonte, dass für die Unternehmen die Bürokratie eine „Belastung“ sei. Etwa die Berichtspflicht oder die Lieferkettengesetze würden dabei einen pessimistischen Blick auf den Wirtschaftsstandort hervorrufen. „Aber auch andere bürokratische Punkte sind den Unternehmen ein Dorn im Auge – insbesondere die Verwaltung“, sagte er.

Der Fachkräftemangel sei ein großes Thema, genauso wie der Wunsch, die Migration in den Griff zu bekommen und zu regeln, die Rentenpolitik, die Infrastruktur und die Sozialabgaben. „Die Produktivität nimmt ab, das Wirtschaftswachstum ist für die nächste Zeit nicht sehr groß im Vergleich zu anderen Ländern. Die politische Führungs- und Planungslosigkeit ist ganz häufig ein Grund, dass die Unternehmen sagen, sie können nicht investieren, weil sie nicht wissen, was in der nächsten Zeit läuft.“

Es entsteht enormer Druck auf die sozialen Sicherungssysteme

Moritz Kuhn rief bei dem Blick auf die wirtschaftlichen Entwicklungen zu einer „größeren Flughöhe“ auf: Nicht das Wirtschaftswachstum in einem Vierteljahr, sondern in einem Zeitraum von Dekaden müsse Sorgen bereiten. „Wo sehen wir uns in zehn Jahren? Das ist die Frage, die die Regierung sich stellen muss, sonst werden wir ärmer.“ 1980 seien noch vier von zehn Menschen in der Industrie beschäftigt gewesen, heute nur noch zwei, verdeutlichte er. Jedoch müsse man nicht nur über „Fabrikschlote nachdenken, sondern über Forschung und Entwicklung.“

Eckhard Janeba geht von einer großen Koalition aus. „Die Wirtschaftspolitik der GroKos war wenig ambitioniert“, meinte er mit Blick auf die letzte große Koalition. Die Schuldenbremse sei wichtig: Es gehe darum, wie wir nicht nur die erhöhte Verteidigungsfähigkeit, sondern auch den Sozialstaat und die Infrastruktur finanzieren. Jedes Jahr würde Deutschland aktuell aus der Boomer-Generation 400.000 Personen im Arbeitsmarkt verlieren – also vier Millionen in zehn Jahren – ein enormer Druck auf die sozialen Sicherungssysteme.

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