Nachhaltigkeitsziele

Was ein Stadtplaner von seinem Besuch in Mannheim mit nach Westafrika nimmt

Modupe Williams ist Stadtplaner in Freetown in Sierra Leone. Dort will er für eine bessere Infrastruktur und mehr Nachhaltigkeit sorgen. Um sich von Mannheimer Planern etwas abzugucken, hat er in der Stadtverwaltung hospitiert

Von 
Valerie Gerards
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David Linse, Fachbereichsleiter Internationales der Stadt Mannheim (links), und Modupe Williams, Stadtplaner aus Freetown, im Gespräch. © Valerie Gerards

Es sind gefühlt zwei verschiedene Welten, und doch verfolgen sie ein gemeinsames Ziel: Die Städte Mannheim und Freetown im westafrikanischen Sierra Leone wollen die Nachhaltigkeit in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich massiv stärken. Darum hat Modupe Williams, Stadtplaner aus Freetown, eine Woche lang in der Mannheimer Stadtverwaltung hospitiert, um die kommunalen Strukturen im Bereich der Stadtplanung kennenzulernen.

Seine Stelle als integrierte Fachkraft bei der Stadt Freetown wird durch das entwicklungspolitische Programm „Fachkräfte für kommunale Partnerschaften weltweit“ gefördert. Die Zusammenarbeit geht zurück auf das Engagement der Stadt Mannheim im Global Parliament of Mayors (GPM), dessen Vorsitzender Oberbürgermeister Peter Kurz seit zwei Jahren ist, und eine Anfrage von Freetowns Bürgermeisterin Yvonne Aki-Sawyerr, die ebenfalls Mitglied des GPM ist.

Welche Nachhaltigkeitsziele verfolgt Freetown?

Modupe Williams’ Arbeit macht ihn indirekt für vier UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung in der Hauptstadt Sierra Leones zukünftig verantwortlich: Geschlechtergerechtigkeit, Zugang zu Trinkwasser und Hygiene, saubere und bezahlbare Energie sowie die Entwicklung von nachhaltigen Städten. Derzeit hätten weniger als 40 Prozent der Bürger von Freetown Zugang zu sauberem Leitungswasser, berichtet Williams. In den meisten Teilen von Afrika, vor allem wenn es um Subsahara-Afrika geht, hätten sogar selten mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Zugang zu Trinkwasser. Dass die Zahl für Freetown verhältnismäßig niedrig ist, liege nicht an Wassermangel oder Dürre, sondern an der unzureichenden Landnutzungsplanung und dem Management des Wasserverteilungsnetzes.

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Die Versorgungsnetzwerke seien nicht geschützt, es gebe keine Wegrechte für Wasserleitungen, keine durchsetzbaren Gesetze zum Schutz der öffentlichen Infrastruktur. Darum können sie einfach unterbrochen werden, etwa durch Straßenarbeiten oder weil Privatleute für ihre Grundstücke Wasser abzweigen. „In Mannheim war ich auf dem Franklin-Gelände und habe gesehen, dass zuerst die Infrastruktur mit Straßen, Wasser, Abwasser, Strom und Gas bereitgestellt wurde. Diesen Planungssinn gibt es in Freetown nicht“, berichtet Modupe Williams.

In welcher Hinsicht spielt die Dezentralisierung eine Rolle?

Die Regierung in Sierra Leone ist laut Williams verantwortlich für die Infrastruktur im gesamten Land, die Landesregierung hat aber kaum Kontakt mit der lokalen Bevölkerung. Es gebe zwar einen Stadtrat, der sehr in die lokalen Gemeinschaften eingebunden sei, aber keine Entscheidungsgewalt über lokale Entwicklungsprojekte habe. Er könne die Infrastruktur in Freetown weder planen noch aufbauen und kontrollieren: „Der gesetzliche Rahmen ist veraltet.“

Derzeit passiere viel informelle Besiedlung, die Bürger machen, was sie wollen. Ohne Kenntnis der Regierung würden etwa in einem Naturschutzgebiet oder in Gebieten, in denen es keinerlei Straßen oder Infrastruktur gebe, seit mehreren Jahren einfach Häuser gebaut. „Die Menschen leben dort, produzieren Abfall, der dann dort herumliegt oder in die Flüsse gespült wird, und es ist nicht unüblich, dass sie ihre Fäkalien in die Regenwasserrückhaltebecken leiten“, verdeutlicht Williams. „Wenn das politische System dezentralisierter wäre, dann hätte der Stadtrat die Möglichkeit, die benötigte Infrastruktur zu schaffen und darüber zu bestimmen, wo Häuser gebaut werden. Denn momentan müssen wir mit den Ergebnissen dieser fehlenden Planung leben.“

Welche Probleme gibt es neben der fehlenden Infrastruktur in der Hauptstadt von Sierra Leone?

Ein großes Problem ist laut Williams die Landflucht. Sie sei zum einen auf den Bürgerkrieg von 1991 bis 2002 zurückzuführen, der die Bevölkerung von Freetown durch Binnenmigration verdoppelt habe. Zum anderen führe das unbeständige Klima zu Ernteausfällen, so dass Landwirte aufgäben und in die Stadt zögen. Es gebe keine Zugkraft in andere Städte, weil die Hauptstadt das attraktivste urbane Zentrum des Landes sei. Jedes Jahr wächst die Stadt um vier Prozent, die Weltbank geht davon aus, dass bis 2030 zwei Millionen Menschen auf einer Fläche von 83 Quadratkilometern leben werden. „Wenn so viele Menschen auf so engem Raum wohnen, ist das einfach nicht nachhaltig. Egal, was man tut. Wir brauchen also einerseits eine lokale Regulierung mit mehr Entscheidungsgewalt für den Stadtrat. Auf nationaler Ebene muss die Regierung dafür sorgen, andere urbane Zentren zu schaffen“, meint Williams.

Wie können Mannheims Nachhaltigkeitsziele bei der Stadtentwicklung von Freetown helfen?

Bei der Schaffung von nachhaltigen Städten hat Williams Franklin und Spinelli besucht, wo neue Häuser gebaut werden, die Solaranlagen auf dem Dach haben und begrünt sind. Die Verkehrsinfrastruktur wird gleich mitgeplant. Auch wenn die Grundvoraussetzungen von Mannheim und Freetown nicht wirklich vergleichbar sind, gebe es Erkenntnisse und auch ein gewisses Bewusstsein, das Williams mitnehmen könne: „Wir haben nicht viel Bausubstanz zu schützen, denn die meisten Häuser in den Slums sind Wellblechhütten. Wir könnten die wesentlichen Teile der Stadt von Grund auf neu bauen, wenn es einen Plan gibt und den Willen dazu.“

Die Stadt Mannheim unterstützt mit ihrem Engagement die Devolution, also die Verlagerung politischer Kompetenzen. Die Zentralregierung in Sierra Leone soll dabei Entscheidungsgewalt an die Kommunen abgeben, so dass diese selbst verantwortlich für das sein können, was bei ihnen vor Ort passiert. „Erst wenn das geregelt ist, kann man überhaupt an andere Entwicklungsschritte denken, beispielsweise an die Entwicklung der Wirtschaft und ein gutes Gesundheitssystem“, konstatiert David Linse, Fachbereichsleiter Internationales der Stadt Mannheim.

Freie Autorin

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