Mannheim. Was bei Cannabis-Konsumenten für Freude gesorgt hat, dürfte bei der Justiz in Mannheim wohl weniger gut angekommen sein: das geplante Cannabis-Gesetz. Stand jetzt soll es zum 1. April eingeführt werden. Zahlreiche alte Strafen müssen deswegen deutschlandweit neu bewertet werden. So hat auch die Mannheimer Staatsanwaltschaft mit einer enormen Zusatzbelastung zu kämpfen. In dem Zusammenhang seien „weit über 1600 Vollstreckungsverfahren“ zu überprüfen, sagt Staatsanwältin Valerie Schweppe auf Anfrage dieser Redaktion.
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Seit Dezember des vergangenen Jahres rollt Schweppe mit ihren Kollegen die alten Fälle auf, erzählt sie. Die Überprüfung laufe derzeit noch auf Hochtouren. „Es werden alle Fälle geprüft, in denen eine Verurteilung - auch - nach dem Betäubungsmittelgesetz erfolgt ist“, erklärt sie. Dabei handele es sich um alle rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren „bei denen die Strafvollstreckung noch nicht vollständig abgeschlossen ist und bei denen die Verurteilung jedenfalls teilweise wegen des bislang strafbaren Umgangs mit Cannabis erfolgte“, erläutert die Staatsanwältin.
15 bis 60 Minuten zusätzlicher Zeitaufwand pro Akte
Für die Extra-Arbeit verantwortlich ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Cannabis-Legalisierung. Dieser beinhaltet auch eine geplante Amnestie für Altfälle, die nach dem neuen Recht nicht mehr strafbar wären. Aufgrund der Menge an zu überprüfenden Delikten stellt dies eine Herausforderung für die Behörde dar. Von einem „erheblichen Mehraufwand“, spricht Schweppe: „Die Überprüfung läuft zusätzlich zu den sonst üblichen Aufgaben der Strafvollstreckung, die aufgrund von gesetzlichen Vorgaben - teilweise auch Fristen - nicht vernachlässigt werden können“, erklärt die Staatsanwältin. Den zeitlichen Aufwand schätzt sie auf 15 bis 60 Minuten pro Akte ein.
Das geplante Cannabis-Gesetz
- Erlaubt werden soll der Besitz von bis zu 25 Gramm getrockneten Pflanzenmaterials zum Eigenkonsum, die man auch im öffentlichen Raum mit sich führen darf.
- In der privaten Wohnung soll der Besitz von bis zu 50 Gramm erlaubt werden. Angebaut werden dürfen dort auch gleichzeitig drei Pflanzen.
- Kiffen im öffentlichen Raum soll unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon verboten werden – in 100 Metern Luftlinie um den Eingangsbereich.
- Erlaubt werden sollen auch „Anbauvereinigungen“. Also so etwas wie Clubs für Volljährige, in denen bis zu 500 Mitglieder Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander zum Eigenkonsum abgeben – pro Tag höchstens 25 Gramm Cannabis je Mitglied und im Monat höchstens 50 Gramm.
- Für 18- bis 21-Jährige sollen monatlich 30 Gramm mit höchstens zehn Prozent Tetrahydrocannabinol (THC) zulässig sein. dpa
„Besonders frühzeitig wurden die Fälle geprüft, in denen sich der Verurteilte in Haft befindet oder in denen mit Haftbefehl nach ihm gefahndet wird“, sagt Schweppe. Durch die Priorisierung soll gewährleistet werden, dass sich mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes kein Betroffener mehr in Haft befindet. „Es wurden zudem alle derzeit möglichen Vorbereitungen getroffen, dass auch darüber hinaus keine gesetzeswidrige Vollstreckung zum Stichtag erfolgen wird“, erklärt Schweppe.
Kein Ermessensspielraum für die Staatsanwaltschaft
Die Überprüfung richte sich nach den gesetzlichen Vorgaben des geplanten Cannabis-Gesetzes und Artikel 313 EGStGB (Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch), in dem es heißt: „Rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, werden mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind.“ Ein Ermessensspielraum der Vollstreckungsbehörde bestehe somit nicht, betont Schweppe.
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Die Staatsanwältin nennt ein fiktives Beispiel: „Wurde jemand beispielsweise wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit Besitz von Betäubungsmitteln - in diesem Fall 20 Gramm Cannabis - zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt und betrugen die Einzelstrafen dabei 30 Tagessätze für das Fahren ohne Fahrerlaubnis und 20 Tagessätze für den unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln, so wird die Staatsanwaltschaft beantragen, die Geldstrafe auf 30 Tagessätze zu reduzieren.“
Nachträgliche Strafen sind hingegen nicht möglich. Genauso werden bereits vollständig vollstreckte Strafen nicht geändert. „Auch werden die Altfälle nicht neu verhandelt. Die Entscheidung über eine rückwirkend gemilderte Strafe trifft das Gericht im Beschlussweg auf Antrag der Staatsanwaltschaft“, erklärt Schweppe weiter.
Schafft das geplante Cannabis-Gesetz die letzte Hürde?
Bedenken - unter anderem wegen der zu erlassenen Strafen bei Altfällen - sind aus den Bundesländern laut geworden, weswegen die geplante Cannabis-Legalisierung zum 1. April fraglich ist. Denn es ist unsicher, ob das Gesetz am Freitag die letzte Hürde im Bundesrat nehmen kann. Dort ist es nicht zustimmungsbedürftig, aber die Länderkammer könnte den Vermittlungsausschuss anrufen und das Verfahren damit abbremsen.
Für Mannheim gilt in Bezug auf die neu zu bewertenden Altfälle immerhin: „Der überwiegende Teil der Verfahren ist bereits abgearbeitet“, wie Schweppe betont. Ob die Justiz zukünftig durch die geplante Cannabis-Legalisierung entlastet wird, wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) immer wieder betont, darauf will sich die Staatsanwältin noch nicht festlegen: „Dies lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen.“
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