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Warum sich religiöser Wahn nicht wegdiskutieren lässt

Warum man fanatische Ideen klar von Wahnvorstellungen abgrenzen muss und welche Behandlung es für Betroffene gibt, erklärt Harald Dreßing, Leiter der forensischen Psychiatrie am Zentrum für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Von 
Lisa Uhlmann
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Implantiere Chips beim Impfen oder Eliten, die Kinderblut trinken: Solche Verschwörungstheorien klingen für Außenstehende völlig absurd und krank. Das Unsinnige oder Unwahrscheinliche ist aber kein hinreichendes Kriterium, um von Wahn oder einer Krankheit auszugehen, weiß Harald Dreßing, Leiter der forensischen Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Der Fachmann behandelt und begutachtet regelmäßig schizophrene Patienten mit Wahnvorstellungen und betont eindringlich, solche fanatischen Ideen, wie die von Querdenkern, davon abzugrenzen. Denn wer wirklich unter Wahnvorstellungen leidet, bei dem liegt oft eine Erkrankung zugrunde. Wahnideen sind meist nur ein psychopathologisches Symptom einer Krankheit. „Häufig fühlen sich Betroffene verfolgt oder glauben, dass jemand sie vergiften will. Es gibt auch religiöse Wahnideen.“

Erkrankung als Ursache

Solche Menschen fühlen sich berufen, „eine Mission zu erfüllen oder sind überzeugt, dass sie eine besondere Beziehung zu Gott haben“, erklärt Dreßing. Die Ursachen seien sehr unterschiedlich: Hirnerkrankungen wie Entzündungen, Durchblutungsstörung oder Alzheimer können Auslöser sein. Oder andere psychische Erkrankungen wie Manie, Depressionen und schizophrene Psychosen. Besonders bei Psychosen treten Wahnthemen häufig auf. Betroffene zeigen oft weitere Symptome, sind gereizt, depressiv verstimmt oder extrem gut gelaunt. Aber auch Konzentrations- und Denkstörungen gehen mit dieser Hirnerkrankung einher. Die Inhalte des Wahns hängen laut Dreßing oft mit der Biografie und Erlebnissen der Person zusammen. Oder mit aktuellen Themen. Nach Reaktorunfällen etwa in Tschernobyl habe es Menschen gegeben, die wahnhaft überzeugt waren, atomar verseucht zu sein. Andere sind etwa wahnhaft überzeugt davon, dass sie übers Internet abgehört werden. „Das zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines Inhalts nicht gut geeignet ist, einen Wahn festzustellen oder auszuschließen, denn Abhöraktionen übers Internet sind grundsätzlich möglich und finden auch statt. Notwendig ist immer eine individuelle Einzelfalldiagnostik“, so Dreßing.

Frühe Behandlung

Ein wichtiges Beurteilungskriterium, ob eine Wahnidee vorliegt oder nicht, sei auch, ob solche Ideen von einer Kulturgemeinschaft geteilt werden, in der sich die Betroffenen befinden, wie beispielsweise bei religiösen Vorstellungen. „Im Christentum glaubt man an die jungfräuliche Geburt Jesu. Obwohl das naturwissenschaftlich betrachtet völlig unsinnig ist, handelt es sich dabei nicht um eine Wahnidee, weil diese Vorstellung von einer großen Glaubensgemeinschaft geteilt wird“, sagt Dreßing. Laut Definition wird ein Wahn nicht von anderen geteilt. Zudem kommen solche Überzeugungen meist schlagartig, sind sich Betroffene absolut gewiss, dass sie richtig sind. Zum anderen muss der Wahn eine krankhafte Ursache haben. Und zuletzt: Ein Wahn ist völlig unkorrigierbar, trotz Intelligenz der Person. „Man kann einen Wahn weder psychotherapieren noch wegdiskutieren“, sagt Dreßing.

Wie man mit solchen Menschen umgeht, sie behandelt? „Es ist sinnvoll, so früh wie möglich zu behandeln. Aber es ist schwierig, solche Menschen zu überzeugen. Sie haben selbst kein Krankheitsgefühl. Die eigene Vorstellung ist absolute Realität“, weiß der Experte. Wie seine Patienten zur Behandlung kommen? Tatsächlich erreicht ein Teil der Betroffenen die Ärzte nie, so der Psychiater. Häufig kämen Patienten über Angehörige ins ZI, per Überweisung durch den Hausarzt oder manchmal auch unfreiwillig über die Polizei. Allerdings lässt sich Wahn gut behandeln: Je nach Ursache auch mit Medikamenten wie Antidepressiva und Antipsychotika. Im günstigsten Fall, so Dreßing, kommt es dadurch sehr schnell zur Besserung der Symptome, und die Patienten erkennen nach einer erfolgreichen Behandlung, dass sie krank waren. Das gelinge sogar häufig.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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