Mannheim. Ein Schlaganfall, ein Unfall: Jeder kann in die Situation kommen, seine Angelegenheiten nicht mehr regeln zu können. Dann wird eine sogenannte rechtliche Betreuung nötig. Liegt keine Vorsorgevollmacht vor, regelt ein vom Amts wegen bestellter Betreuer alles: etwa die Verwaltung von Vermögen, die Erledigung von Bankgeschäften oder Fragen des Aufenthalts. Also zum Beispiel, ob jemand in ein Pflegeheim geht oder nicht. Die „Aktion Mensch“ fördert nun ein Sozialprojekt des Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) mit rund 184 000 Euro. Das Mannheimer Projekt will Menschen, für die eine rechtliche Betreuung ansteht, stärken und stabilisieren. Und zwar so, dass die rechtliche Betreuung im besten Fall nicht eintreten muss.
Wohngeldantrag stellen oder Haushaltshilfe organisieren
Denn diese kann auch eintreten, wenn ein Mensch etwa psychisch krank ist oder eine (geistige) Behinderung hat. Besonders diese Menschen stehen im Fokus des SKF-Programms. Bei ihnen aber gilt zudem: „Ihre Problemlagen und Ressourcen lassen dennoch zu, dass bei Gewährung und Vermittlung entsprechender anderer Hilfen eine rechtliche Betreuung nicht eingeleitet werden muss“, erklärt SKF-Geschäftsführer Herbert Baumbusch. Er nennt ein Beispiel: „Eine Person ist im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) mit einer depressiven Episode stationär untergebracht. Der Sozialdienst des ZI kann mit der Entlassung schon einige Hilfen anstoßen.“ Dennoch ist weiterer Hilfe- und Unterstützungsbedarf abzusehen, wie etwa Wohngeldantragsstellung, Unterstützung im Haushalt organisieren - oder das Aufzeigen und schließlich die Kontaktanbahnung zum Pflegedienst.
Auch Menschen „mit leichten oder „phasenweise verlaufenden psychischen Erkrankungen“ sind dabei die Zielgruppe, erklärt Baumbusch. Als Beispiel nennt er depressive und manische Phasen. Auch Menschen mit erstmals auftretenden psychischen Erkrankungen zählen zur Zielgruppe. Des Weiteren junge Menschen mit Überforderungssyndrom, oder Menschen, die eine Intelligenzminderung haben oder eine mäßiggradige geistige Behinderung. „Der Person wird ganz zeitnah konkret geholfen“, erklärt Baumbusch den Vorteil des Modells. Das eigene Potential werde wiedererweckt. „In kleinen Schritten kann die Person wieder nach und nach Aufgaben selbst erledigen, und die rechtliche Betreuung wird im günstigsten Fall verhindert.“ Man könnte dies auch als „Assistenz auf Zeit“ bezeichnen, so Baumbusch.
Zahlen und einige Grundsätze zum neuen Gesetz
- Hauptsächliche Ursachen für das Einrichten einer Betreuung in Mannheim war laut Angaben der Stadt 2020 eine körperliche Behinderung (ca. 59 Prozent, einschließlich Schlaganfallpatienten). Aber auch eine seelische und/oder psychische Erkrankung ist oft die Ursache für eine Betreuung (20 Prozent). Daneben leiden ca. 15 Prozent der Betreuten an Altersdemenz.
- In Mannheim gibt es zwei Betreuungsvereine, den des SKF und den kommunalen. Im Jahr 2020 bestanden in Mannheim nach Angaben der Stadt 4566 Betreuungen. Der überwiegende Teil der Betreuten waren Menschen, die zwischen 50 und mehr als 90 Jahre alt sind (ca. 77 Prozent).
- Insgesamt sind „etwa 60 Prozent der Betreuer derzeit Familienangehörige und andere Ehrenamtliche“, so die „Aktion Mensch“. Rund 40 Prozent sind Berufsbetreuer. Ein Gericht bestimmt vor Betreuung im Einzelfall, für welche Aufgabenbereiche ein Betreuer bestellt wird, zum Beispiel für Vermögensangelegenheiten oder für die Gesundheitssorge.
- Das neue Betreuungsrecht verpflichtet die vorgeschlagenen Betreuerinnen und Betreuer ab 1. Januar 2023 dazu, die zu betreuende Person aufzusuchen, um sich vorzustellen und der zu betreuenden Person die Möglichkeit zu geben, sich für oder gegen eine Zusammenarbeit mit dem Betreuer auszusprechen, erklärt Stadtsprecherin Bison. „Der kommunale Betreuungsverein praktiziert diese Vorgehensweise bereits; auch bei der Vermittlung von ehrenamtlichen Betreuern wird schon so verfahren.“
- Auch werden die Betreuten vor Gericht gestärkt. „Anders als im jetzigen Recht können betreute Personen selbst bei Gericht Erklärungen abgeben, Anträge stellen oder gegen Gerichtsentscheidungen vorgehen“, so „Aktion Mensch“. Und auch für Betreuer ändert sich viel: Berufsbetreuer müssen sich künftig bei einer Betreuungsbehörde registrieren lassen und Fachkenntnisse nachweisen. Ehrenamtliche Betreuer sollen sich einem Betreuungsverein anschließen, der sie beraten und fortbilden kann.
Kriterien wie Geschäftsfähigkeit und Entscheidungsfähigkeit der Person müssen unter anderem vorhanden sein, erklärt er. Die nun durch „Aktion Mensch“ zum Großteil geförderte Fachberatungsstelle des SKF im Quadrat B7, 18 kann dann vielfältig mit den Betroffenen zusammenarbeiten und diese unterstützen. Beraten wird flexibel, auch online per Zoom, vor Ort oder am Telefon.
Behindertenverbände: Neues Gesetz verhilft zu mehr Beachtung von Wille und Wunsch der Person
So eine Arbeit wie die der SKF-Beratungsstelle soll ab 2023 der Normalfall werden. Dann tritt das neue Betreuungsrecht in Kraft, was vielfach als Schritt zu mehr Selbstbestimmung Betroffener gewertet wird. Und es soll sich beim Betreuungsrecht noch mehr ändern, denn die aktuelle Lage bezeichneten viele Akteure in Politik, Betreuungswesen und auch Behindertenverbände lange als unzureichend. So stellte das Bundesjustizministerium nach einer Erhebung unter anderem fest: Das aus Artikel 12, Absatz 3 der UN-Behindertenrechtskonvention herzuleitende Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen wurde „in der Anwendungspraxis der rechtlichen Betreuung nicht durchgängig zufriedenstellend verwirklicht.“ Oft machten auch überlastete Gerichte und - zum Leidwesen der Betroffenen - verzögerte Betreuungsverfahren Schlagzeilen. Zudem hatten die Erhebungen des Ministeriums „erheblichen Änderungsbedarf“ gezeigt, der die „Aufgabenerfüllung aller im Betreuungsrecht tätigen Akteure“ betreffe. Insbesondere sollen im neuen Recht die „Festlegung der Wünsche des Betreuten im Zentrum“ stehen sowie die deutlichere Verankerung des Prinzips „Unterstützen vor Vertreten“ gelten. Auch ein richtiges Kennenlernen des Betreuers oder der Betreuerin mit Einwilligung wird verankert. Laut „Aktion Mensch“ war „die Option von Zwangsmaßnahmen als Ultima Ratio, zum Beispiel im Bereich der Psychiatrie“, ein weiterer Kritikpunkt am Gesetz. Auch Behindertenverbände werten das neue Gesetz als Fortschritt, hätten sich aber „noch mehr Maßnahmen, um mehr Betreuungen ganz vermeiden zu können“, gewünscht, so die „Aktion Mensch“.
Amtsgericht: Vorsorgevollmacht sehr wichtig
Auch der Fachbereich Arbeit und Soziales der Stadt habe es sich zum Ziel gesetzt, „die Beratung und Unterstützung der Betroffenen zu intensivieren und eine rechtliche Betreuung möglichst zu vermeiden, um die Autonomie des Bürgers zu fördern“, erklärt Stadtsprecherin Carolin Bison auf Anfrage zur Lage in Mannheim und zu den Projekten wie denen des SKF. Bei der Stadt ist die Betreuungsbehörde angesiedelt. Der oder die zu Betreuende werde „bestmöglich in den Prozess eingebunden und dabei unterstützt, eigene Entscheidungen zu treffen und auch zu verwirklichen“, so Bison. In Mannheim sei „nahezu bei allen vom Gericht beauftragten Berichterstattungen eine intensive Beratung von Betroffenen und Angehörigen“ durchgeführt worden, erklärt Bison. „Die Einrichtung einer Betreuung ist der letzte Schritt, wenn klar wird, dass die Einschränkungen der betroffenen Person stärker sind und eine Betreuung unumgänglich ist.“
Die Bedarfe der zu betreuenden Personen „werden also bereits weitgehend durch den Kommunalen Betreuungsverein beziehungsweise den Fachbereich Arbeit und Soziales gedeckt“, sagt Bison. In Ergänzung zu den Maßnahmen des Fachbereichs flankierten Projekte wie die des SKF „die Maßnahmen des Fachbereichs und bilden damit die erweiterte Unterstützung ab, die ab 1. Januar 2023 gesetzlich verankert wird“.
Die Vorsorgevollmacht ist indes „ein wichtiges Mittel, um eine rechtliche Betreuung zu verhindern“, betont Bison. Dort kann man etwa Angehörige als Bevollmächtigte eintragen. Und auch das Betreuungsgericht Mannheim macht deutlich: „Wer selber bestimmen will, welche Person in welchen Bereichen später einmal etwa im Krankheitsfall oder im Alter für einen handelt, sollte eine Vorsorgevollmacht errichten“, sagt Pressesprecher Christoph Streiß.
Terminvereinbarung beim SKF telefonisch unter 0621/ 120 800.
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