Mannheim. „Für mich ist Toleranz ein Muskel, den man regelmäßig dehnen muss, damit er nicht verkürzt und man nicht starr und steif wird“, resümierte Anne-Marie Geisthardt nach dem „Mannheim spricht“-Finale. Sie ist Mitorganisatorin des Gesprächsformats, bei dem Andersdenkende zum Dialog in der Abendakademie aufeinandertrafen (wir berichteten).
„Wie beim Dehnen auch darf es beim Dialog mit Andersdenkenden durchaus mal etwas weh tun, um dann zu merken, dass die Übung mit der Zeit immer leichter wird.“ Aber Geisthardt sagt: „Wobei die Schmerzgrenzen, klar, nicht überschritten werden dürfen.“ Deshalb werde bei „Mannheim spricht“ ja auch „niemand beleidigt oder diffamiert, und es werden keine falschen Tatsachen behauptet“.
Finnischer versus deutscher Talk
Martti Eloranta hat beim Gesprächs-Blind-Date mitgemacht. Nachdem der Finne, der seit einigen Jahren in Mannheim lebt, mit einer Dame zum Thema „Sollten nicht-deutsche Staatsangehörige hier wählen dürfen?“ diskutiert hat, sagt er: „Wir sind zusammen mit unterschiedlichen Meinungen zu dem Thema rein und haben gemerkt: Eigentlich sind wir beide für ,Ja’. Nur haben wir eben andere Bedingungen.“ Sie habe „Nein“ gewählt, aber nur, weil sie sagte: „Wenn jemand hier 30 Jahre lebt, die Sprache nicht lernt und keine Lust auf Integration hat, dann nein.“
Ob Eloranta findet, dass in Deutschland im Unterschied zu nordischen Ländern eine andere Debattier-Mentalität herrscht? „Nein“, sagt er und lacht. „Aber doch“, fügt er dann hinzu. „Also in finnischen Talkshows lassen sich die Leute ausreden. In Deutschland reden oft alle auf einmal, laut und unterbrechen sich.“ Eloranta ist nur einer unter vielen Projektteilnehmern, an denen man sieht: Mannheims Bevölkerung hat definitiv Lust auf mehr Training, um Geisthardts Metapher vom Anfang wieder aufzunehmen.
Null kontrovers unter vier Augen?
Wie Organisatorin Monika Simikin von der Abendakademie sagt, hätten viele Teilnehmende schon gefragt: „Und, geht es nächstes Jahr wieder weiter?“ Man überlege bereits im Team, wie das Format im nächsten Jahr aussehen könnte. „Es soll auf jeden Fall auch 2023 ein Diskussionsformat geben“, verspricht Simikin. Jetzt werde erstmal das Feedback der Teilnehmenden ausgewertet, dann im Herbst festgezurrt, wie es weiter gehe. Über 100 Menschen haben das Format 2022 genutzt, berichtet sie. Teilnehmende seien „manchmal enttäuscht gewesen, dass es nicht kontroverser zugeht in den Vier-Augen-Gesprächen“, erzählt Simikin. „Ich bin aber überzeugt, dass es keine große Rolle spielt, ob man eine oder fünf oder acht Fragen unterschiedlich beantwortet hat.“ An einem Gesprächsformat beteiligten sich eben Menschen, „die kommunizieren möchten und deshalb Gemeinsamkeiten stärker betonen als Differenzen“. Der Gewinn liege da auch in der Formulierung „der eigenen politischen Meinung“. Simikin sagt abschließend: „Die Demokratie - so pathetisch das klingen mag - wurzelt in der Mitte der Gesellschaft. Wir schauen oft sehr gebannt auf die Ränder.“ Nach der künstlerischen Eröffnung durch „Rapagoge“ Tobias Schirneck, der Gesprächsteile der vorangegangen Gesprächs-Blind-Dates aufnahm, ging es auf das Podium. Das Motto: Wie kann friedliche Kommunikation funktionieren?
„DNA der Demokratie“
Es diskutierten Claus Preißler, Beauftragter für Integration und Migration der Stadt, Philipp Gassert, Historiker an der Uni Mannheim, und Tobias Schirmeck (in Vertretung für den verhinderten Fridays for Future-Aussteiger Clemens Traub). Moderatorin Sevda Can Arslan machte deutlich, dass ihr am Format gefällt, dass man „bewusst und aktiv in den Austausch“ gehe. „Durch das Podium wurde mir klar, dass neben der individuellen Bereitschaft dazu auch die strukturellen Bedingungen in unserer Gesellschaft einen großen Anteil an gelingender Kommunikation haben.“
„Ich bin der Meinung, dass zivilisierter Streit, der sich an Regeln hält und das Gegenüber respektiert, zur DNA unserer Demokratie gehört“, so Phillipp Gassert. Am Ende war allen Teilnehmenden des Abschlussevents klar: „Mannheim ist eine Stadt, in der die Menschen bereit sind, sich aufeinander einzulassen“, wie es auch Sylvia Löffler vom Mannheimer Bündnis für Zusammenleben in Vielfalt ausdrückte. Claus Preißler sagte, „Mannheim spricht“ sei „beispielgebend, in der Sache konträr, dabei aber in der Haltung zum Gegenüber offen und zugewandt.“ Es sei ein „Demokratie stärkender Ansatz, dem zu wünschen ist, dass er in Mannheim immer größere Kreise zieht“. Und das fanden auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Viele verabredeten sich zur Fortsetzung ihrer Gespräche.
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