Mannheim. Schneeweiße, flaumweiche Junge sitzen im Horst und schauen staunend aus weit aufgerissenen Augen in die Kamera - eine rührende Momentaufnahme aus der Kinderstube bei Familie Falke. Wenngleich sich auf den zweiten Blick Abgründe auftun: Federn und blutige Knochenreste im Nest künden von reißerischen Fütterungsritualen, vom Fressen, vom Hacken und Hauen in luftiger Höhe. So wie das Leben spielt. Die Ansichten aus fünf Wanderfalken-Horsten in Mannheim präsentieren nicht nur kuschelige, rührende Putzigkeit, sondern auch dramatische Szenen mit kampfbereiten Alten, die ihre Brut verteidigen bis aufs Blut.
Gerhard Rietschel, habilitierter Biologe und Naturschutzbeauftragter der Stadt, hat von Anfang an Fühlung zu den bedrohten Greifen aufgenommen. Er fing sensationelle Ansichten aus nächster Nähe ein, er hat das Drinnen und Draußen beobachtet und die Höhepunkte der Begegnungen in 30 Jahren nun zu einem Jubiläums-Kalender für 2018 zusammengefügt.
Frühling, Sommer, Herbst und Winter aus der Vogelperspektive, im Rhythmus mit der Natur, so kann die Zeit wie im Flug vergehen und dabei die erfolgreiche Rückeroberung der bedrohten Art Blatt für Blatt Revue passieren.
Natürlicher Feind der Stadttauben
Das beginnt mit kirchlichem Segen im Jahr 1988, als die erste Wildbrut im Turm von St. Peter in der Schwetzingerstadt nistet. Von nun an fliegen die hoch spezialisierten Sturzflugjäger wieder auf Mannheim, besetzen ihr Terrain im urbanen Raum und - schöner Nebeneffekt bei dem Naturschutzprojekt - reduzieren auf Prädatoren-Art die Population der Stadttauben in ihrem Umfeld.
Gerhard Rietschel hat als Nistplatzerbauer, Horstbewacher, Jungfalken-Beringer und -Retter bei allen Katastrophen und Glücksfällen die Entwicklungen beobachtet und mit dem Kameraauge das Balzen und Brüten, Rupfen und Reißen dokumentiert. Ob im Fernmeldeturm, auf dem Kirchturm der CityKirche Konkordien in R 2 oder in den beiden "Kaminzimmern" des Großkraftwerkes GKM in Neckarau, überall war er am Drücker, erlebte bei Annäherung böse Attacken der zu allem entschlossenen Alten, trug einmal eine Handverletzung davon, egal - er ließ sich von Stechblick und Krallen nie verjagen, und so entstanden aufsehenerregende Bilder von den luftigen Abenteuern am Himmel über Mannheim.
Eine Erfolgs-Geschichte in zwölf Blättern, wobei auch die Niederlagen in den Mannheimer Tiergeschichten nicht ausgeblendet werden. Auf der Friesenheimer Insel hatte sich ein Wanderfalkenpaar schon fest eingenistet, da vertrieb ein noch Größerer, ein Nachtjäger, das Paar. Der Uhu übernahm das Quartier, doch er verfütterte seinem Nachwuchs offenbar einen toxischen Happen: War's vielleicht eine giftgeschwächte Ratte? Was auch immer - das Ende der Uhu-Ära kam plötzlich, heute siedeln Nilgänse in dem stillgelegten Abluftrohr...
Die historische, weltweit einmalige Dreiecksbeziehung auf der Konkordien-Kirche wird ebenfalls in Wort und Bild nochmals erzählt. Zwei Weibchen teilten sich jahrelang ein Männchen, brüteten einträchtig, bis im Frühjahr 2017 die Ältere verkrampft am Boden lag und trotz Intensivpflege verendete. Todes-Ursache: vermutlich eine Bleivergiftung. Vielleicht trug eine erbeutete Stadttaube oder ein Zugvogel eine Ladung Schrotkügelchen in sich? Ein Kapitel schloss sich, doch neue Seiten öffnen sich immer wieder - so wie bei diesem großformatigen und beeindruckend gestalteten Kalender.
Falkenkalender 2018
- Seit genau 30 Jahren nisten wieder Wanderfalken in Mannheim.
- 1988 brütete erstmals ein Paar im Kirchturm von St. Peter. Es folgten Horste im Fernmeldeturm, auf der CityKirche Konkordien, am Großkraftwerk GKM in Neckarau und im Industriegebiet.
- 175 Mannheimer Wanderfalken-Junge schlüpften seither.
- Alle Fotos und Texte in dem Kalender sind von Gerhard Rietschel.
- Der Kalender ist im Verlag Waldkirch erschienen und in Buchhandlungen erhältlich. Preis: 19,80 Euro.
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