Geschichte - Curt-Sandig-Haus heißt nun Bumiller-Raab-Haus / Uni Mannheim prüft Biografien historischer Namensgeber

Vorbild mit zwei Gesichtern

Von 
Lisa Uhlmann
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Angefangen hat alles mit einer Liste: Mittlerweile stehen noch fünf Namen darauf. Sie gehören Professoren, die einst an der Universität Mannheim gelehrt haben, Ehrentitel tragen. „Die Personen darauf stehen unter Verdacht, eine NS-Vergangenheit zu haben“, sagt Katharina Fischer, frisch gewählte Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses (Asta). Die Zeit des Nationalsozialismus, kurz NS-Diktatur, ist die Zeitspanne von 1933 bis 1945, in der Adolf Hitler in Deutschland sein Terror-Regime errichtete. „Die Liste, von uns erstellt, gibt es seit den 1990er. Wir haben das Rektorat schon damals darauf hingewiesen. Auch auf Sandig haben wir die Uni gestoßen“, erklärt die 20-Jährige. Auf ihrem Schoß hat sie einen Ordner gehievt. Darin findet sich Protokolle, Rechercheunterlagen und besagte Liste – alles sorgfältig über Generation hinweg weitergegeben.

Auch der Betriebswirt Curt Sandig steht darauf, einer der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Historie der Uni. Von ihm hat sich das Rektorat auf Raten des Astas tatsächlich distanziert – weil er nicht nur während des Zweiten Weltkriegs NS-Ideologie als Hochschullehrer verbreitet, sondern vor allem danach einstige NS-Kameraden gedeckt hat. Das hat eine Abschlussarbeit am Lehrstuhl für Zeitgeschichte 2018 ans Licht gebracht. Die Konsequenz: Das Studentenwohnheim in der Gaußstraße 18, nach Sandig benannt, heißt nun Bumiller-Raab-Haus – in Andenken an die ursprüngliche Stifterin Emilie Bumiller, geb. Raab. Ihr Vermögen bildet bis heute den Grundstock für die Einrichtung von studentischen Wohnheimsplätzen.

Bereits der dritte Fall dieser Art

Pünktlich zum Start des neuen Semesters sind dort vor einer Woche wieder Studenten einzogen. Bald soll ein neues Schild mit dem Hinweis „ehemals Curt-Sandig-Haus“ , auf die Hintergründe der Namensänderung hinweisen. „So eine Kameraderie ist völlig inakzeptabel. Wer Obernazis deckt, ist kein Vorbild. Die Umbenennung ist uns nicht schwergefallen“, erklärt Unirektor Thomas Puhl. Sandig ist mit seiner bedenklichen Vergangenheit aber kein Einzelfall, sondern bereits der dritte Würdenträger, der in Verruf geraten ist. Deshalb will Puhl nun alle Biografien von historischen Namensgebern überprüfen lassen.

Wie aber hat es Sandig bis über den Tod hinaus geschafft, seine Nähe zum Nationalsozialismus zu verheimlichen? Dabei geholfen hat dem NSDAP-Mitglied offenbar ein erst spätes Entnazifizierungsverfahren im Jahr 1948. Typisch dafür sollen bereitwillig ausgestellte „Persilscheine“ gewesen sein – Sandig wurde statt wie beantragt als „Belasteter“ als „Mitläufer“, der zweitschwächsten Kategorie eingestuft. Von da an reingewaschen, setzte er seine Karriere fort. Was die Öffentlichkeit nicht erfährt: 1959 macht er sich stark für den hoch belasteten Dekan der Uni Heidelberg, Walter Thoms, und sichert ihm seinen finanziellen Ruhestand. Währenddessen feiert die Presse den aufstrebenden Betriebswirt als Wohltäter: Im Mai 1966 beschreibt der „MM“ Sandig als „weißhaarige, liebenswürdige Erscheinung“ und „Gelehrtentypen“, der Fleischsalat liebt und den die Studenten als „Mittler zwischen Theorie und Praxis“ schätzen.

Am Lehrstuhl für Zeitgeschichte weiß man heute: „Sandig hatte zwei Gesichter: Einerseits hat er sich für Studenten eingesetzt. Andererseits war er der Nazifizierer der Betriebswirtschaftslehre im Dritten Reich“, erklärt Philipp Gassert, Professor für Zeitgeschichte. Er hat die Abschlussarbeit betreut und darauf gestützt ein Gutachten mit Angela Borgstedt, Expertin für Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Südwesten, erstellt. Das Fazit von Johannes Löhr, Verfasser der Abschlussarbeit: Seinen Studenten hatte Sandig 1933 die „Volksgemeinschaft“ als Richtschnur betriebswirtschaftlichen Handels gelehrt, nur Nazis sollen Betriebswirte sein. „Er hat sich besonders negativ ausgezeichnet, indem er den ideologischen Herrschaftsanspruch auf die BWL übertragen hat.“ Später distanziert er sich davon, wird zum „Mitläufer der Demokratie“.

Die Umbenennung ist für den Asta zwar ein Erfolg. Die Vorsitzende will es aber nicht dabei belassen. „Ich will aufklären, statt Ehrentitel wegzunehmen und mit Veranstaltungen an die Opfer erinnern.“

Würdenträger mit problematischer Vergangenheit

  • Curt Sandig: Das nach ihm benannte Wohnheim heißt nun Bumiller-Raab-Haus. Der Betriebswirt (1901-1981) gehörte in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zu den führenden Persönlichkeiten der Wirtschaftshochschule und späteren Universität Mannheim. Er prägte als Dekan und Rektor (1961-1963) entscheidend die Weiterentwicklung hin zur Universität. 1981 erhielt er die Ehrenmedaille der Uni, 1978 das Bundesverdienstkreuz. Als Dank für sein Engagement als ehrenamtlicher Geschäftsführer der Bumiller-Raab-Haus GmbH, wurde das Wohnheim nach ihm benannt.
  • Heinrich Vetter: Das Porträt des Ehrensenator und Mäzen hängt nicht mehr im Flur vor dem Rektorat. Nach ihm ist noch immer bewusst ein Hörsaal benannt, mit einem Hinweis versehen. 2013 war bekanntgeworden, dass die Familie Vetter an der systematischen Ausplünderung jüdischer Bürger bei der Arisierung beteiligt war. Die jüdische Gemeinde hat ihm eine Ehrenmedaille aberkannt.
  • Kurt Hamann: Die einstige „Dr. Kurt-Hamann-Stiftung“ wurde 2018 unbenannt in „Stiftung zur Förderung der Versicherungswissenschaft“. Ein Gutachten stellte fest, dass der Namensgeber während der NS-Zeit an Arisierungen beteiligt war.
  • Eduard Spranger und Peter Petersen: Ein Forschungsbericht der Uni Frankfurt brachte die Nähe zum Nationalsozialismus ans Licht. Beide Mannheimer Schulen wurden umbenannt: Sie heißen nun Gretje-Ahlrichs-Schule und Johanna-Geissmar-Gymansium.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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