Medizingeschichte - Orthopädie - ein besonderes Kapitel in Mannheim / Klinikgründer Günter Jentschura vor 100 Jahren geboren

Vom OP-Bunker ins Lanz-Krankenhaus

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Die Orthopädische Klinik der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) hat eine bewegte Geschichte. Ihr Gründer wäre dieser Tage, am 8. August, hundert Jahre alt geworden: Günter Jentschura steht für eine Professoren-Generation, die mit Pioniergeist und Improvisationstalent Aufbauarbeit leistete.

Der aus Schlesien stammende Fachmediziner war bereits kommissarischer Leiter der renommierten Universitäts-Orthopädie in Heidelberg-Schlierbach, als er 1968 einen Ruf der jungen Fakultät für Klinische Medizin Mannheim annahm. Allerdings fand der Ordinarius und Chefarzt im aufstrebenden "Städtischen", wie damals das Klinikum hieß, kümmerliche Bedingungen vor. Sein langjähriger Mitarbeiter Hanns von Andrian-Werburg - er leitete später ein großes Orthopädie-Hospital in Duisburg - erinnert sich noch an die 25-Betten-Klinik, die zunächst im OP-Bunker untergebracht war.

Bahnbrechende Operationslehre

Auch wenn sich der Anfang bescheiden gestaltete, galt es an eine orthopädische Tradition anzuknüpfen: Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hatte nämlich der "Specialarzt für orthopädische Chirurgie", Adolf Stoffel, in Mannheim Maßstäbe gesetzt und mit seinem Heidelberger Lehrer eine bahnbrechende Operationslehre veröffentlicht. 1932 richtete Stoffel in der Quadratstadt den Jahreskongress der Fachgesellschaft aus. Gleichwohl sollte es bis 1968 dauern, ehe im Klinikum eine eigenständige Orthopädie aufgebaut wurde. Angesichts der beengten Platzverhältnisse reifte die Idee, das leerstehende alte Heinrich-Lanz-Krankenhaus an der Meerfeldstraße zu nutzen. Die Kapelle wurde kurzerhand in einen Hörsaal umgebaut.

Beim Umzug vom Neckarufer auf den Lindenhof half 1972 die Bundeswehr. Schon bald sollten sich die ursprünglich 25 Betten verfünffachen - was auch dringend notwendig war: Ein halbes Jahr und länger hatten Patienten mit erkranktem Bewegungsapparat auf eine stationäre Aufnahme warten müssen.

Die Berufung von Günter Jentschura erwies sich für die aufstrebende Mannheimer Universitätsmedizin als Glücksfall. Der breitgefächerte Orthopäde - er war beispielsweise Spezialist für kindliche Wirbelsäulenverkrümmungen (Skoliose) - blickte stets über Operationstechniken hinaus. Beispielsweise gehörte zur Klinik eine neu gegründete Lehrstätte für Physiotherapie. Außerdem setzte sich Günter Jentschura dafür ein, dass junge Langzeit-Patienten Unterricht am Bett bekamen. Beim Aufbau einer Sonderschule für Körperbehinderte brachte er medizinisches Wissen ein. Außerdem gehörte das Team der Lindenhof-Klinik zu den Pionieren beim Einpflanzen künstlicher Gelenke.

Mit der Friedrichsfeld GmbH, heute Friatec, arbeitete Günter Jentschura an der Langzeithaltbarkeit von Biokeramik. Übrigens entschied sich Sohn Dirk Jentschura ebenfalls für die Medizin - wich aber auf die Chirurgie aus. "Um nicht immer mit meinem Vater verglichen zu werden", erzählt der Leiter des Onkologischen Zentrums Speyer.

Eigentlich war das Lindenhöfer Orthopädie-Domizil als Übergangslösung gedacht. Es sollte anders kommen: Nach der Verabschiedung des Klinikgründers anno 1981 wirkte der aus Basel kommende Nachfolger Lutz Jani noch bis 1994 in den alten Gemäuern. "Grünes Licht" für den dringend notwendigen Neubau auf dem Campus hatte einige Jahre zuvor der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth gegeben, als er auf Einladung des damaligen Gesundheitsbürgermeisters Wolfgang Pföhler das Klinikum samt Orthopädie-Außenstelle besuchte. Wenig später stolperte der CDU-Politiker über die sogenannte "Traumschiff-Affäre" - bei seiner Neubau-Zusage blieb es. Seit 2000 leitet Hanns-Peter Scharf das inzwischen mit der Unfallchirurgie vereinte Orthopädie-Zentrum.

Orthopädische Klinik

Das Fachgebiet Orthopädie befasst sich mit Fehlbildungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Lange nahm die Medizin "Verkrüppelungen" als schicksalhaft hin.

Als der Pariser Arzt Nicolas Andry 1741 ein Buch über "die Kunst" veröffentlichte, "bey Kindern die Ungestaltbarkeit des Leibes zu verhüten und zu verbessern" - beispielsweise durch Schienen - galt dies als revolutionär.

Die Mannheimer Orthopädie-Klinik residierte wegen Platznot im Klinikum 22 Jahre lang auf dem Lindenhof im einstigen Heinrich-Lanz-Krankenhaus.

Das 1907 als Vermächtnis des Mannheimer Industriellen Heinrich Lanz eröffnete Hospital war im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, aber nach Wiederaufbau 1956 erneut genutzt worden. 1970 erfolgte die Verlegung in einen Neubau an der Feldbergstraße. 1999 fusionierte das "Lanz" mit dem Diakonissenkrankenhaus. Den leerstehenden Bau an der Meerfeldstraße diente der Orthopädie von 1972 bis 1994 als Domizil. wam

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