Landgericht

Videos belasten Angeklagte - doch die schweigen weiter

Im Totschlagsprozess am Mannheimer Landgericht gegen zwei Männer lassen Zeugenaussagen die Beteiligung eines weiteren Mitbewohners vermuten. Der Richter nennt einen Strafrahmen von drei bis 15 Jahren Haft

Von 
Robert Schmellenkamp
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© Roland Schmellenkamp

Mannheim. Mit einer überraschenden Wende endete gestern der zweite Prozesstag wegen Totschlags und einer weiteren schwere Körperverletzung gegen zwei junge Polen: Am Landgericht wurde ein halbes Dutzend kurze Videos gezeigt, die am Tattag zwischen 21.06 Uhr und 4.55 Uhr am Folgetag aufgenommen wurden. Nur die ersten waren auch für Besucher auf der Leinwand zu sehen, die weiteren aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nur noch für die Prozessbeteiligten. Sprich: Es wurde dann heftig. Zu sehen war auf den Handy-Aufnahmen auch das Opfer.

Andrzej S. (20) und dem drei Jahre älteren Jakub B. wird vorgeworfen, ihren Mitbewohner zwischen dem 20. und 23. Juli 2022 so stark verletzt zu haben, dass er starb. Alle drei waren mit zwei weiteren Männern in einer von einer Arbeitsvermittlungsagentur genutzten Wohnung der Neckarstadt-West untergebracht. Die beiden Angeklagten sollen das Opfer schikaniert, ihm mehrfach gegen den Kopf und den Oberkörper geschlagen und getreten haben. Folge: Verletzungen an Kehlkopf, Nasenbein, Augenhöhle und Brust. Tödlich waren gebrochene Rippen, die die Brust durchstachen. Dadurch löste sich ein Teil der Lunge vom Brustkorb, letztlich erstickte der Mann. Doch womöglich hätte ein Notarzt in der Dachgeschosswohnung in der Bürgermeister-Fuchs-Straße helfen können, aber der wurde nicht gerufen.

Nach Präsentation der Videos erklärte der Vorsitzende Richter Joachim Bock, es sei klar zu sehen, dass zwischen 21.12 und 21.56 beim Opfer eine Platzwunde am Auge entstand. Er wies darauf hin, dass selbst wenn den Angeklagten nicht nachgewiesen werden könne, dass sie die Verletzungen zugefügt hatten, sie durch ihre Untätigkeit die Gefahr des Todes oder schwerer Gesundheitsschäden in Kauf genommen hätten – und zwar fahrlässig oder mit bedingtem Vorsatz. Mit anderen Worten: Ihnen muss klar gewesen sein, dass der Mann schwer verletzt war und sterben könnte, aber sie riefen keinen Notarzt. Der Richter nannte den Strafrahmen drei bis 15 Jahre Haft wegen unterlassener Hilfeleistung und fragte Rechtsanwalt Janusch Nagel, ob sein Mandant B. sich bei einem der weiteren Prozesstage womöglich doch zur Tat äußern wolle. Bisher haben die beiden Angeklagten dazu geschwiegen, sie beantworten auch keine Fragen.

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Wie sich am Dienstag herausstellte, hatte die Polizei zuerst auch die beiden anderen Mitbewohner festgenommen, diese wurden jedoch ohne Anklage wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Doch zumindest einer davon könnte durchaus ein Tatbeteiligter sein: Der Pole namens F. wurde nämlich wenige Tage zuvor kurz von der Polizei festgenommen. Er hatte laut einem Disponenten der Zeitarbeitsfirma, die auch die Wohnung stellte, verhindern wollen, dass ein weiterer Arbeiter in diese Wohnung einzog. F. sei demnach „explodiert“ und auf den Disponenten losgegangen, woraufhin dieser die Polizei rief.

Eine Angestellte der Firma sagte aus, dass F. öfter mit Mitbewohnern Ärger hatte. F. habe sogar sie selbst bedroht, er sei unberechenbar und aggressiv. Über diesen sagte sie auch, dass er sie im vermuteten Tatzeitraum gegen Mitternacht angerufen habe: Zum einen habe er gesagt, dass „die“ jetzt seinen Mitbewohner schlagen und der am Boden liege. Sie habe F. gesagt, dass er Polizei und Krankenwagen rufen solle – doch das geschah nicht. Wieso F. nicht wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt ist, blieb beim gestrigen Prozesstag unklar. Weiter bemerkte die Angestellte lapidar: „Wenn unsere Mitarbeiter am Wochenende frei haben, trinken sie ohne Ende, und es gibt Schlägereien.“

Als weitere Zeugin sagte eine Großtante von Jakub B. aus, die in Herne wohnt. Dieser habe am 23. Juli Kontakt zu ihr aufgenommen und sei gleich am Samstag früh morgens zusammen mit Andrzej S. bei ihr aufgetaucht. Über Mannheim hätten sie nur gesagt, dass es „auf der Arbeit einen unnormalen Mann gibt, vor dem sie Angst haben“. Die beiden hätten geplant, im Ausland Geld zu verdienen. Doch daraus wurde nichts: Bereits am Montag klingelte bei der Großtante die Polizei. Seitdem sitzen Andrzej S. und Jakub B. in Haft. Der Prozess wird 30. Januar, 9 Uhr, fortgesetzt.

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