„Muss aufgearbeitet werden“

Verdacht des sexuellen Missbrauchs: Prozess gegen ehemaligen Musikschullehrer

Der Prozess gegen einen Musiklehrer aus Weinheim wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs hat in Mannheim begonnen. Die Staatsanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe gegen den Angeklagten

Von 
Michael Callies
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Symbolbild. © Volker Hartmann

Mannheim. Größer könnten die Gegensätze kaum sein: Auf der einen Seite der stattliche, grauhaarige, gut gebräunte und bestens gelaunte 67-jährige Angeklagte, der sich im Foyer des Mannheimer Landgerichts souverän bewegt und sich mit seinem Anwaltsduo entspannt berät, auf der anderen Seite zwei junge Frauen, die schüchtern, fast schon ängstlich, gleich im Saal 2 des Mannheimer Landgerichts als Zeuginnen aussagen werden. In dieser Woche hat der Prozess gegen einen Musiklehrer, der in Weinheim an der Musikschule Badische Bergstraße unterrichtet hat, wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, „zwischen 2012 und 2017 an vier Musikschülerinnen im Alter von 12 bis 16 Jahren sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben, die ihm zu den jeweiligen Zeitpunkten im Rahmen eines Unterrichtsverhältnisses anvertraut gewesen seien“, heißt es in der Anklageschrift.

Kurzer Schlagabtausch

Wegen intimer Details wurde die Öffentlichkeit bei den Zeugenaussagen am Donnerstag, dem zweiten Verhandlungstag, fast ausnahmslos ausgeschlossen. In den wenigen Minuten, in denen der Gerichtssaal auch für die Öffentlichkeit zugänglich war, überraschte der Angeklagte mit einer Aussage in Bezug auf eine Zeugin. „Sie kam zu mir in den Unterricht und hatte schlechte Laune.“ So soll die Mutter das Kleid, das sie anhatte, nicht gut gefunden haben. Der Angeklagte habe daraufhin auf einen Zettel geschrieben, dass das Kleid schön sei und ihr mitgegeben. Außerdem sei es die Musikschülerin gewesen, die ihn gefragt habe, „ob ich eine Freundin habe“. Nicht er habe das vorangetrieben. Seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Andrea Combé, versuchte zwar durch einen Einwand noch die Öffentlichkeit ausschließen zu lassen, doch waren die Worte des Angeklagten da bereits gesprochen. Der Vorsitzende Richter Dr. Joachim Bock unterbrach den Angeklagten: „Die zu ihnen kommen, sind Kinder.“ Es sei seine Aufgabe als Lehrer gewesen, Distanz zu wahren, so Bock weiter. Das Verhalten habe der Angeklagte eben nicht hinterfragt. Kinder hätten einen anderen Empfängerhorizont, so der Richter, der den kurzen Schlagabtausch mit dem ehemaligen Musiklehrer damit noch nicht beendete. Bock erinnerte an die Zeugenaussage vom Prozessauftakt am Dienstag. Da hatte der scheidende Leiter der Musikschule, Jürgen Osuchowski, im Zeugenstand von einem „No-Go“ gesprochen, als es darum ging, dass Unterrichtsstunden zu Hause bei den Kindern stattfinden würden. Distanz hätte auch hier geboten sein müssen. Verteidigerin Combé machte in der Folge mit einem Einwand deutlich, dass es bei der geschilderten Situation vonseiten ihres Mandanten keine sexuellem Absichten gegeben habe.

90 Minuten im Zeugenstand

Während am Donnerstag – erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit – die erste Zeugin lediglich etwa 15 Minuten auf Fragen des Richters, der Ersten Staatsanwältin Simone Velte-Kircher und der drei Anwälte der Nebenklage antworten musste, dauerte die Zeugenvernehmung einer Studentin rund 90 Minuten. Sichtlich erschöpft war sie anschließend noch zu einer kurzen Stellungnahme bereit: „Auch wenn die Fälle schon einige Jahre her sind, ist es unheimlich wichtig, dass alles aufgearbeitet wird“, so die junge Frau. Wichtig sei dies ganz besonders für die junge Generation. So etwas dürfe nicht wieder passieren.

Wenige Wochen in U-Haft

Schon beim Prozessauftakt am Dienstag hatte das Gericht den Fall mit großer Sensibilität behandelt und die Anwendung des § 171b des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) angewandt. Kurzum: Bei Verfahren, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zum Gegenstand haben, kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden – vor allem, wenn die Straftaten zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen begangen worden sein sollen. Das führte dazu, dass selbst die Verlesung der Anklageschrift hinter verschlossenen Türen stattfand.

Als der Fall vor etwas mehr als drei Jahren an die Öffentlichkeit kam – wir haben darüber berichtet – hatte er hohe Wellen geschlagen. Der Musiklehrer war im Dezember 2020 festgenommen worden und kam zunächst in Untersuchungshaft. Wenige Wochen später kam er zwar wieder frei. Aber die Staatsanwaltschaft ermittelte weiter.

Insgesamt hat die Große Jugendkammer des Landgerichts Mannheim 14 Verhandlungstage anberaumt; das Urteil wird im November erwartet.

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