Mannheim. Es beginnt mit einem Geschenk, das gefährliche Begehrlichkeiten weckt. Kurz vor Weihnachten übergibt die 51-jährige Krankenschwester Judith G. einem Mann ein kleines Dankeschön. Dafür, dass er sie und ihre Kolleginnen kostenlos in seiner Einfahrt vor ihrer Arbeitstelle parken lässt. Wenige Monate später ist Judith G. tot. Spaziergänger entdecken die Leiche der Frau am 23. Februar 2012 in Käfertal unter einem Laubhaufen.
Die Meldung vom Fund einer toten Frau in einer Grünanlage, die Hundehalter gerne zum Gassi gehen nutzen, erreicht Kriminalhauptkommissar Jürgen Benz mitten in einer Vernehmung zu einem Vermisstenfall. Seit knapp einer Woche sucht er mit seinem Kollgen vom Polizeirevier Käfertal nach einer Krankenschwester - mit Spürhunden und Wärmebildkameras. Der Hund der Vermissten war zuvor herrenlos angefahren worden, ihre Chefin hatte sie als vermisst gemeldet. „Das war eine kuriose Situation, als wir am Fundort angekommen sind. Denn ich war nur wenige Tage vorher keine zehn Meter an diesem Laubhaufen vorbei gelaufen“, erinnert sich der Mannheimer Hauptkommissar in Folge 5 von „Verbrechen im Quadrat“, dem Crime-Podcast des „Mannheimer Morgen“.
Leiche respektvoll aufgebahrt
Denn was als Vermisstenfall beginnt, entwickelt sich dann für Benz zu intensiven Ermittlungen über ein Verbrechen. Im Podcast-Gespräch mit Gerichtsreporterin Angela Boll schildert Benz, wie er im Laufe der Ermittlungen einen Sonderling als Tatverdächtigen identifiziert, ein verschlüsseltes Tagebuch sowie blutverschmierte Kleidung bei dem Mann findet und klar wird, dass sich alles um eine unerfüllte Liebe mit grausamem Ende dreht. Dass es eine tiefere Beziehung zwischen Opfer und Täter gegeben haben muss, erkennen die Polizisten, als die Kriminaltechnik den Leichnam freilegt: Regelrecht aufgebahrt, die Hände der Frau in den Schoß gefaltet, einige ihrer Kleidungsstücke sorgfältig hinter einem Zaun drapiert. „Wenn das Opfer dem Täter nichts bedeutet hat, dann gibt es keinen Grund, die Frau so respektvoll zu bestatten. Er hat sie regelrecht schlafen gelegt“, analysiert Benz.
Später offenbaren die Ergebnisse der Obduktion das gegensätzliche Verhalten des Täters: Judith G. wurde brutal erschlagen. Weil die Frau vor ihrem Tod nur wenige soziale Kontakt hatte, fällt der Verdacht auf den Mann, den die Krankenschwester beschenkt hatte. Denn es stellt sich heraus: Der 51-Jährige hatte sich danach heimlich verliebt - sie aber seine Schwärmerei nicht erwidert. Bei der Befragung bestreitet er die Tat, räumt aber ein, die Frau zu kennen - und einen Nebenbuhler. Als die Ermittler sein Anwesen durchsuchen wollen, treffen sie auf Berge voller Müll und Unrat. Hier finden die Beamten blutige Kleidungsstücke und zwei verschlüsselte Tagebücher. Als es den Ermittlern schließlich gelingt, den Code zu knacken, erhalten sie Einblicke in die Gedankenwelt eines psychisch Kranken.
Die Gesprächspartner
- Jürgen Benz ist Kriminalhauptkommissar in Mannheim und seit 35 Jahren Polizist.
- Seit 1993 ist er bei der Kriminalpolizei, seit 2003 arbeitet er bei der Mordkommission.
- Im Fall „Judith“ war Benz als Sachbearbeiter bei den Ermittlungen dabei.
- Steffen Lindberg ist seit 16 Jahren Strafverteidiger in Mannheim.
- Studiert hat der 43-Jährige in Mannheim und Heidelberg.
- Er hat beim Prozess um den Tod von Judith G. den Angeklagten vertreten, der wegen Mordes verurteilt wurde.
Minutiös beschreibt der Einzelgänger darin, wie und wo er auf die Krankenschwester getroffen ist, wann er ihr nachgestellt oder sie von einer Fichte auf seinem Grundstück aus bei der Arbeit beobachtet hat. Während jedes Lächeln zu euphorischen Ausbrüchen führt, schreibt er bei Zurückweisung abfällig über die Frau, verdächtigt sie sogar, ein Spitzel zu sein. Später weisen Untersuchungen das Blut des Opfers auf der sicher gestellten Kleidung nach. Das und die Tagebücher genügen für eine Festnahme - es kommt zur Anklage. Was aber geht in einem Mann vor, der tonnenweise Dinge hortet, auf Bäume klettert, um Leute zu beobachten, der über Monate hinweg eine Frau observiert und jede seiner Handlungen verschlüsselt in einem Tagebuch dokumentiert? Ist er krank, ein eiskalter Mörder, beides oder doch nur ein unschuldiger Sonderling?
Das soll der Prozess um den Tod der 51-jährigen Krankenschwester Judith G. klären. Mit im Gerichtssaal sitzt damals auch Strafverteidiger Steffen Lindberg. Er vertritt den Mann als Rechtsanwalt. Was reizt einen Anwalt daran, einen Menschen vor Gericht zu verteidigen, der jemand umgebracht hat? Antworten drauf gibt Lindberg im Podcast-Gespräch und berichtet auch, wie er mit solchen ungewöhnlichen Mandanten umgeht. Denn das psychologische Gutachten des Sachverständigen bescheinigt dem Angeklagten eine „schizotypische Persönlichkeitsstörung“.
Bis zum Ende kein Geständnis
„Grundsätzlich zeige ich meinen Mandanten alle möglichen Verteidigungslinien auf. Sie entscheiden selbst, welcher Weg bestritten werden soll. Meine Aufgabe ist es dann, diese Strategie durchzusetzen“, erklärt Lindberg. Er hat mehrfach erlebt, dass es im Gerichtssaal zu brenzligen Situationen kommen kann, so wie bei diesem Prozess. Der 51-jährige Angeklagte ist bis zum Schluss von seiner Unschuld überzeugt, reagiert aufgebracht. Als das Urteil verkündet wird, weigert er sich, abgeführt zu werden, es kommt zum Tumult im Saal.
Obwohl der Mann bis dahin kein Geständnis abgelegt hat, verhängt das Gericht 13 Jahre Haft und ordnet die Unterbringung in eine psychiatrische Klinik an. Ob das Urteil auch für Hauptkommissar Benz wichtig ist? „Es bestätigt uns, das wir richtig gearbeitet haben. Wir wollen in allen Fällen die Wahrheit herausfinden, für die Angehörigen und für die Opfer.“