Justiz - Angespannte Stimmung im überfüllten Gefängnis / Seit einigen Jahren mehr psychisch Auffällige in Haft

Überbelegung bringt Unruhe

Von 
Angela Boll
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Justizvollzugsbeamter Oliver C. (l.) im Gespräch mit einem Häftling: Der persönliche Kontakt zu den Gefangenen liegt C. am Herzen. Doch die aktuellen Schwierigkeiten im Knastalltag lassen dafür kaum noch Raum.

© Blüthner

Mannheim. "Wir sind am Anschlag." Holger Schmitt, Chef der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim, redet nicht um den heißen Brei. 650 Plätze hat er in der Herzogenriedstraße, aber 722 Männern soll er an diesem Tag eine Unterkunft bieten. Er muss sogar. Denn keiner von ihnen darf das Gelände wieder verlassen. Alle bleiben. So wie immer. Irgendwie geht's.

Die Überbelegung der Mannheimer JVA ist kein tagesaktuelles Problem, sondern schon lange eine ständige Herausforderung - mit gravierenden Folgen. Denn durch die Überzahl entstehen, so berichtet Schmitt, mehr Konflikte im täglichen Miteinander, er herrsche eine "nahezu dauerhaft angespannte Stimmung".

Oliver C. arbeitet als Stockwerksbeamter in der Untersuchungshaft. Seinen vollständigen Namen möchte er nicht nennen, zu schwierig sei das Klientel, mit dem er zu tun hat. Vor zehn Jahren hat der 37-Jährige in der Mannheimer JVA seine Ausbildung gemacht und er blieb dem Standort treu. Auf C.s Stockwerk leben offiziell 31 Männer, die verschieden große Zellen belegen. Aktuell betreut C. allerdings 55 Männer in seinem Bereich. Acht Quadratmeter stehen einem Gefangenen in einer Einzelzelle zu. In einer Gemeinschaftsunterkunft für zwei sollten es, so ist es im Justizvollzugsgesetz verankert, mindestens 4,5 Quadratmeter pro Person sein. Bei einer Dreifachbelegung sieht das Gesetz für jeden sechs Quadratmeter vor. Vorschriften, an die sich der JVA-Chef derzeit nicht immer halten kann.

Es fehlt der Austausch

"Wir fragen die Gefangenen bei ihrer Ankunft, ob sie damit einverstanden sind, zum Beispiel zu zweit in einer Einzelzelle zu bleiben", berichtet C. von regelmäßigen Verhandlungen: "Die meisten sind da sehr kulant", betont er. Allerdings gilt: Wer nicht will, muss trotzdem einziehen. Bernhard Feuerstein, Vollzugsleiter und Pressesprecher der JVA, bringt es auf den Punkt: "In diesen Fällen handeln wir eigentlich rechtswidrig. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig." Nur selten drohen Häftlinge mit einen Anwalt. "Das ist wirklich die Ausnahme", sagt Schmitt.

Der Platzmangel an sich - also ein vergleichsweise kleines Problem. "Viel schlimmer sind für uns die Folgen, die sich daraus ergeben", berichtet C. von massiven Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang. "Die Leute sind aggressiver, suchen Streit, die Atmosphäre ist insgesamt viel gereizter als früher", findet der Beamte. Auch die Kommunikation mit den Gefangenen sei schwieriger: "Immer weniger sprechen Deutsch oder Englisch. Uns fehlt das Gespräch, der Austausch mit den Leuten. Es geht ja nicht nur darum, dass sie eingesperrt sind, wir wollen ja auch einen Draht zu ihnen kriegen", erklärt C. Mehr psychisch Auffällige, mehr Gefangene ohne Ausbildung, mehr Analphabeten - "in diesen zehn Jahren, seit ich hier bin, hat sich viel verändert". Ein weiteres Problem: "Wir haben immer mehr Inhaftierte mit großem Suchtdruck", sagt C.

Vollzugsleiter Bernhard Feuerstein zieht den Vergleich: "Vor 20 Jahren hatten wir hier Alkoholiker und Marihuana-Abhängige, selten auch mal Heroinsüchtige." Heute sei eine große Anzahl der Gefangenen "polytox" - "das heißt, sie konsumieren alle möglichen Drogen. Bei uns schwenken sie dann auf Medikamente um, wissen genau, wie sie welche Mittel mischen müssen, um in einen Rausch zu fallen." Auch der steigende Ausländeranteil unter den Inhaftierten, bringt Herausforderungen mit sich. Während noch vor einigen Jahren die Deutsch-Russen hinter Gittern den Ton angaben, machen zurzeit die Nordafrikaner (aus den Maghreb-Staaten: Tunesien, Algerien, Marokko) und die Georgier den Beamten den Arbeitsalltag schwer. "Die Nordafrikaner lassen kein Unrechtsbewusstsein erkennen, sie haben keinen Respekt, halten sich nicht an die Regeln und sind sehr problematisch im Umgang mit meinen weiblichen Kolleginnen", sagt C. Die Georgier seien hingegen extrem schnell und hierarisch in Gruppen organisiert.

"Vollzug ist Glückssache"

Beleidigungen hört C. täglich, erzählt er, ernsthaft verletzt wurde er bei seiner Arbeit aber noch nie. "Vollzug ist Glückssache", sagt er. Vier Übergriffe gab es in diesem Jahr bereits auf Kollegen. Gezählt werden aber auch nur solche, die einen Beamten dienstunfähig machen. Im gesamten Jahr 2016 waren es drei in Mannheim, 2015 einer.

C. ist 37 Jahre alt, noch hätte er Chancen in einem anderen Job Fuß zu fassen . . . "Nein. Ich bin trotz allem glücklich hier. Meine Energiegeber sind die kleinen Erfolge: Wenn einer ,danke' sagt zum Beispiel."

Tagesablauf in der Untersuchungshaft

  • Der Alltag hinter Gittern richtet sich nach strengem Zeitplan. Ein Beamter schildert den Ablauf der U-Haft.
  • 6.15 Uhr: Der Stockwerksbeamte öffnet die Zelle und macht die sogenannte Lebendkontrolle. Er schaut also, ob die Häftlinge gesund sind, bespricht ihre Anliegen, nimmt Anträge entgegen, dann schließt er die Zelle wieder ab. Wer sich angemeldet hat, kann nach dem Frühstück zum Training in die Sportabteilung.
  • 11.30 Uhr: Mittagessen in der Zelle.
  • 13 Uhr: Hofgang - alle Hafträume werden geöffnet.
  • 14 Uhr: Duschen - es gibt vier Kabinen in einem Raum. Alle Häftlinge müssen in 30 Minuten fertig sein.
  • 14.30 Uhr: Einschluss. Jeder muss in seine Zelle. Zwischen 15.45 und 16.10 Uhr gibt es Abendessen.
  • 17 Uhr: Umschluss - heißt: Die Gefangenen dürfen Bekannte in anderen Zellen des Stockwerks besuchen, sie werden aber eingeschlossen. Zudem kann gruppenweise in der Stockwerksküche gekocht werden.
  • Spätestens 20 Uhr: Einschluss. 

Redaktion Lokalredakteurin, Gerichtsreporterin, Crime-Podcast "Verbrechen im Quadrat"

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